Freitagmorgen in der Küche von Lennard Havingdam im Örtchen Zuidwolde, unweit der Provinzhauptstadt Groningen. Während der Hausherr Kaffee kocht, beugt sich das Kontrollteam über alte Baupläne.
Der 30-jährige Lennard und seine Partnerin sind vor wenigen Wochen in dieses ehemalige Bauernhaus gezogen. 1774 steht auf dem weissen Giebel. Wie praktisch alle Häuser in diesem Epizentrum hat auch dieses viele Schäden – verursacht durch die Erdbeben. All die Risse und Spalten sollen dokumentiert werden, bevor das neue Besitzerpaar das Haus nach seinen Wünschen umbaut.
Heute gehe es darum, die Schäden zu protokollieren, erklärt Koen Meckenkamp dem Paar. Meckenkamp ist von jener staatlichen Behörde, die das Geld für Reparaturen oder Sanierungen spricht. Er begleitet Hausbesitzerinnen und -besitzer durch das komplizierte Prozedere, das mehrere Monate in Anspruch nimmt.
Frust hat zu staatlichem Eingriff geführt
Bis vor Kurzem waren Shell und ExxonMobil, respektive das Konsortium, das im Auftrag des Staats das Gas hochpumpt, für die Entschädigungen zuständig. Allerdings entzogen sich die beiden Multis dieser Verantwortung in sehr vielen Fällen, was unter der Bevölkerung zu enormen Frustrationen führte.
Deshalb haben staatliche Instanzen diese Aufgabe übernommen. Nun bitten sie das Gas-Konsortium zur Kasse. Mit der neu gegründeten Behörde soll die Schadenabwicklung beschleunigt werden, damit die Geschädigten nicht wie bisher jahrelang auf Hilfe warten müssen.
«Haarrisse sind zu unbedeutend»
Der Kontrollgang in Zuidwolde beginnt vor dem Haus. Der Schadenexperte, der den staatlichen Behördenvertreter begleitet, zückt Kamera und iPad. Von blossem Auge sei an der Fassade kaum etwas zu sehen, so der Besitzer. Um die vielen Haarrisse bei den Fenstern zu dokumentieren, brauche es eine Leiter. Der Schadenexperte winkt ab. Haarrisse sind zu unbedeutend, um ins Schadenprotokoll aufgenommen zu werden.
Nach gut drei Stunden hat der Schadenexperte das Haus von aussen und innen inspiziert. Er habe mehrere Schäden gefunden, erläutert der Kontrolleur. Nun muss er einen Rapport schreiben und diesen mit Fotos illustrieren, wobei er auch Schadensmeldungen und Reparaturen desselben Hauses aus früheren Jahren berücksichtigen muss. Der technische Koordinator des externen Büros kontrolliert danach das Geschriebene und gibt Empfehlungen an die staatliche Instanz ab, wie die Schäden behoben werden sollten.
Sind die Hausbesitzer mit Rapport oder Empfehlungen nicht einverstanden, können sie Einsprache erheben. Erst wenn sich alle einig sind, wird bestimmt, wie viel Geld es für die Instandstellung der Erdbebenschäden gibt.
Seit die Schadenbehörde vor dreieinhalb Jahren ins Leben gerufen worden sei, seien insgesamt 1.4 Milliarden Euro ausbezahlt worden, erklärt deren Pressesprecher Sven Jach. Das ist jedoch bloss ein Bruchteil dessen, was in den nächsten Jahren noch hinzukommen wird.
Noch hat es viel Gas im Groninger Boden. Aber die Regierung hat wegen der vielen Erdbeben einen Förderstopp beschlossen, der allerdings noch nicht umgesetzt wurde. Wann der Gashahn definitiv zugedreht wird, ist noch unklar. Mit dem Krieg in der Ukraine könnte es noch länger dauern.
Sicher ist, dass die Erde gemäss Untersuchungen noch Dutzende von Jahren weiter beben wird. Auch nach einem Förderstopp. Den Kontrolleuren wird die Arbeit in den nächsten Jahren nicht ausgehen.