In Brasilien wird das gelb-grüne Trikot der Fussball-Nationalmannschaft zum Politikum. Die Anhänger von Präsident Jair Bolsonaro beanspruchen das Seleção-Trikot für sich und ziehen damit Wochenende für Wochenende durch Brasiliens Strassen.
Das stellt die Bolsonaro-Gegner vor Probleme: Sie suchen jetzt selber nach einer geeigneten Farbe für ihren Protest, weil ihre traditionelle Protestfarbe Rot kaum mehr getragen werden kann. Wieso, weiss SRF-Korrespondent Ulrich Achermann.
SRF News: Warum nutzt die radikale Rechte ein Fussballtrikot als Symbol?
Ulrich Achermann: Die Rechtsradikalen haben in Brasilien jetzt die Macht – und das zeigen sie gerne, indem sie die gelb-grünen Trikots tragen. Sie tun das immer dann, wenn es um die Forderung geht, die Demokratie in Brasilien abzuschaffen und Präsident Bolsonaro mit diktatorischen Vollmachten auszustatten. Mit den grün-gelben Trikots will man sich auch optisch von den Linken abgrenzen, die bei ihren Demonstrationen früher konsequent rote Shirts getragen hatten.
Die Farben sind das eine – wieso aber ausgerechnet ein Fussballtrikot?
Der Fussball ist so etwas wie der Kitt, der die Menschen in den Armenvierteln auf der einen Seite und in den Villen auf der anderen Seite zusammenhält. Er verbindet Menschen aus allen sozialen Schichten, egal, ob sie arm oder reich sind.
Der Fussball ist in Brasilien so etwas wie der Kitt zwischen Arm und Reich.
Gäbe es diesen Kitt nicht, wäre in Brasilien schon lange etwas schiefgegangen. Auch andere Klischees spielen dabei eine Rolle: Samba-Musik oder der Karneval. Fussball und Fahnen sind halt einfach Zeichen des Patriotismus.
In Brasilien gibt es auch linke Fussballfans. Wie reagieren diese darauf, dass die rechten das Fussballtrikot der Seleção für sich beanspruchen?
Sie überlegen sich gerade, wie sie sich optisch abgrenzen könnten. Eine Möglichkeit wäre die zweite Trikotfarbe der Seleção, blau. Diskutiert wird auch weiss-blau – vor 70 Jahren trat die Fussballnationalmannschaft so auf. Rot dagegen ist derzeit nicht mehr ratsam – wer mit roten Leibchen an eine Demonstration geht, riskiert von den Bolsonaro-Horden verprügelt zu werden.
Wie typisch ist es, dass Fussball in Brasilien politisiert wird?
Neu ist, dass sich eine extrem rechts politisierende Bewegung den Fussball als Symbol angeeignet hat. Doch Fussball und Politik haben sich schon früher vermischt. So gingen etwa die Spieler des Erstligisten Corinthians São Paulo in den 1980er-Jahren mit Trikots auf Spielfeld, mit denen sie in der damaligen Zeit der Diktatur Demokratie und Wahlen forderten.
Das Gespräch führte Sandra Witmer.