Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro steht unter Druck. Nicht nur, weil er das Coronavirus nach wie vor verharmlost. Sondern auch wegen seines Umgangs mit Macht. Jüngstes Beispiel: Der oberste Gerichtshof hatte ihm diese Woche untersagt, seinen ehemaligen Chefleibwächter zum Polizeichef zu ernennen. Bolsonaro wolle nun Berufung gegen diesen Entscheid einlegen, sagt Südamerika-Korrespondent Ulrich Achermann.
SRF News: Warum will Bolsonaro seinen Leibwächter als Polizeichef?
Ulrich Achermann: Ihm geht es im Wesentlichen darum, seine Söhne gegen unliebsame Entwicklungen in Schutz zu nehmen. Gegen alle drei ermittelt die Justiz, weil sie politische Gegner des Präsidenten diffamiert und unter Druck gesetzt haben sollen. Bolsonaro möchte mit der Beförderung seines Leibwächters Einfluss auf diese Ermittlungen ausüben. Dies hat er seinem Justizminister Sérgio Moro gesagt. Der ist daraufhin sofort zurückgetreten.
Der neue Justizminister wird sicher nicht zögern, Bolsonaro alle Wünsche zu erfüllen.
Bolsonaro hat einen Nachfolger ernannt, André Mendonça. Er ist ein alter Vertrauter des Präsidenten. Ein Rechtsanwalt, aber auch ein evangelikaler Pastor. Er wird sicher nicht zögern, Bolsonaro alle Wünsche zu erfüllen.
Könnte Moro Bolsonaro noch gefährlich werden?
Ja. Moro ist der Politiker mit dem grössten Zuspruch in Brasilien. Seine Beliebtheitswerte sind etwa doppelt so hoch wie Bolsonaros. Er hatte sich einst als Richter einen Namen gemacht, weil er sehr kompromisslos gegen die Korruption in der Politik vorgegangen ist. Und er ist politisch ambitioniert und überlegt sich wohl, 2022 gegen Bolsonaro anzutreten. Bolsonaro dagegen steht gerade heftig unter Druck. Im Parlament kauft er sich Unterstützung, um ein mögliches Amtsenthebungsverfahren zu verhindern.
Gegen Bolsonaro laufen einige Verfahren. Könnte ihn die Justiz stoppen?
In der Theorie wäre das möglich. Aber in der Praxis kommt dazu, dass die grosse Kammer des Parlaments einen Prozess gegen Bolsonaro durchwinken müsste. Und das scheint nicht sehr realistisch.
Kann er sich noch auf die Unterstützung der Armee verlassen?
Das ist schwer zu beurteilen. Das Militär war einerseits sehr unzufrieden, als der Justizminister das Handtuch geworfen hat. Aber vorerst bleibt eigentlich alles beim Alten. Die Streitkräfte stützen Bolsonaro weiterhin, mindestens öffentlich. Was sich im Hintergrund abspielt, ist nicht bekannt. Sicher ist: Bolsonaro strapaziert mit seinem Gehabe die Geduld des Militärs extrem.
Es gibt auch Kritik an Bolsonaros Krisenmanagement. Was ist da dran?
Jeder, der einigermassen bei Verstand ist, hat grösste Mühe mit diesem sogenannten Krisenmanagement des Präsidenten. Bolsonaro hält das Virus allenfalls für eine schwache Grippe und hat sich auch wiederholt respektlos über die hohe Zahl von Todesopfern geäussert. Inzwischen gibt es in Brasilien fast 6000 Tote. Das sind schon wesentlich mehr, als es in China gegeben hat.
Bolsonaros Macht bröckelt. Kann er sich noch lange halten?
Er ist hart im Nehmen. Die Mittelschicht, die ihn gewählt hat, wendet sich jetzt zunehmend von ihm ab. Davon zeugen Tausende von Menschen, die jeden Tag aus Protest gegen ihn mit dem Kochgeschirr klappern.
Jeder, der einigermassen bei Verstand ist, hat grösste Mühe mit diesem sogenannten Krisenmanagement des Präsidenten.
Aber die Finanzindustrie und der Bergbau halten weiterhin zu ihm, weil sie auf die Liberalisierung der Wirtschaft hoffen. Das hat Bolsonaro in seinem Regierungsprogramm. Klar ist, dass die Menschen in Brasilien eine Militärintervention, um Bolsonaro zu verdrängen, ablehnen würden.
Das Gespräch führte Claudia Weber.