Pastor Silas Malafaia ist ein einflussreicher Mann. Sechs Millionen folgen ihm bei Instagram, Youtube und Twitter, seine Messen werden live übertragen. Als Präsident Jair Bolsonaro und seine Frau zu den Begräbnisfeierlichkeiten der Queen nach London reiste, flog Malafaia mit.
Zu Malafaias Geburtstag im September kam Bolsonaro in dessen Kirche in Rio de Janeiro. Zusammen beteten sie, dass Luiz Inácio Lula da Silva die Wahlen verlieren möge.
Mit etwa 70 Millionen Gläubigen könnten die Evangelikalen das Zünglein an der Waage werden, wenn am Sonntag der ultrarechte Jair Messias Bolsonaro in einer Stichwahl gegen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva aus der linken Arbeiterpartei antritt. Die Kandidaten liegen in Umfragen fast gleichauf, mit leichtem Vorsprung für Lula. Die Evangelikalen hoben 2018 Bolsonaro ins Amt: Fast 70 Prozent gaben in Umfragen an, damals Bolsonaro gewählt zu haben.
Bolsonaro ist bei Evangelikalen besonders stark, mit mehr als zwei Dritteln Unterstützung
Beide Kandidaten versuchen in diesen Tagen, Pastoren und ihre Gläubigen für sich zu gewinnen. Mit klarem Vorteil für Bolsonaro, sagt Politologe Mauricio Santoro: «Er ist bei Evangelikalen besonders stark, mit mehr als zwei Dritteln Unterstützung. Diese Wähler haben gegenüber Lula eine sehr starke Ablehnung gezeigt. Und nicht nur gegen ihn, sondern gegen die Linke insgesamt.»
Traditionelles Männerbild bei Bolsonaro
Insbesondere bei ultrakonservativen Gläubigen komme Bolsonaro mit seinem Leitspruch «Gott, Heimatland, Familie» gut an. «Deren Vorstellung vom Christentum ist sehr mit einem traditionellen Männerbild verbunden; der starke Mann, der die Frauen verteidigt und für die Familie sorgt. Bolsonaro spielt viel mit dieser Vorstellung, auch seine eigene Vergangenheit als Soldat und sein waffenfreundlicher Diskurs haben einen starken Einfluss auf diese Gläubigen», so Santoro.
Ich habe noch nie so viel Hass in diesem Land erlebt aufgrund von so vielen absurden Lügen.
Herausforderer Lula da Silva muss immer wieder Falschnachrichten dementieren. Nein, er habe keinen Pakt mit dem Teufel. Er habe keine Absicht, in Schulen Unisex-Toiletten einzuführen. Und er werde auch keine evangelikalen Kirchen schliessen lassen. «Ich habe noch nie so viel Hass in diesem Land erlebt aufgrund von so vielen absurden Lügen», sagte er bei einem Treffen mit progressiven evangelikalen Pastoren, die ihn im Wahlkampf unterstützen.
Wachsende Intoleranz gegenüber Gegnern
Dazu gehört Pastor Ariovaldo Ramos, der Gründer der Gruppe «Evangelikale für den Rechtsstaat», die sich für die Trennung von Kirche und Staat einsetzt – und gegen Bolsonaro. Ramos fürchtet, Bolsonaro könnte bei einem Wahlsieg den Staat nach den Vorstellungen von fundamentalistischen Evangelikalen umbauen und demokratische Prinzipien aushebeln.
«Der christliche Glaube ist demokratisch. Er kann und sollte nicht mit einer Autokratie koexistieren. Pfarrer und Pfarrerinnen als Gesalbte des Herrn zu sehen, ist gefährlich.» Ramos fürchtet eine wachsende Intoleranz, die er schon jetzt selbst zu spüren bekommen habe, weil er sich gegen Bolsonaro einsetzt: «Ich bin, wie man heute sagt, gecancelt worden. Ich werde nicht mehr von allen Kirchen, in denen ich früher gepredigt habe, eingeladen.»
Santoro richtet derweil die Augen auf die Stichwahl: «Die Wahlen werden nicht mit dem zweiten Wahlgang enden. Danach kommt das, was wir dritte Runde nennen: Der Kampf darum, dass die Wahlergebnisse respektiert werden.» In Umfragen liegt Lula knapp vor Bolsonaro. Doch wer am Sonntag tatsächlich gewinnt, darüber entscheiden auch die Stimmen der Evangelikalen.