Die Warteschlange vor dem unscheinbaren Imbiss mitten in Mexiko-Stadt ist lang. Das «El Califa de León» wurde kürzlich mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet – als erste Taquería überhaupt.
Koch Jacinto Ávila wirft Fleischstücke auf die heisse Platte, seine Kollegin presst frische Tortillas. «Die Taquería ist mittlerweile sehr bekannt. Es kommen sehr viele Leute her, auch viele Ausländer. Aber das passt schon so», sagt er. Ein Geheimnis gebe es nicht, nur die gute Qualität der Zutaten.
Florierende Gastroszene
Der Imbiss ist typisch für den Boom, den Mexiko-Stadt erlebt. Viele Expats finden Gefallen an der Stadt. Gerade auch am kulinarischen Angebot. «Die mexikanische Küche ist auf einem aussergewöhnlich hohen Niveau. Die Michelin-Auszeichnung ist eine tolle Anerkennung, wie vielfältig das Essen ist», findet Morgan Babbs, Solarunternehmerin aus den USA.
Ein besonders beliebtes, hippes Quartier ist der Stadtteil Condesa. Im Café Saint treffen sich Einheimische und Zugezogene gleichermassen. Es ist berühmt für sein Gebäck.
Attraktiv für digitale Nomaden
Besonders während und nach der Pandemie verlegten viele ihr Homeoffice in die relativ erschwingliche Stadt, erzählt ein einheimischer Architekt. «Man konnte in der Pandemie nach Mexiko fliegen. Obwohl es hiess, ‹bleibt zu Hause›, fand man Orte, die offen hatten. Wir bekamen Leute aus der ganzen Welt. Das löste einen Boom aus», sagt Isaac Aves.
Eine der vielen digitalen Nomaden ist Christina, eine Grafikdesignerin aus Kalifornien. Sie kann von hier aus für ihren Arbeitgeber arbeiten. «Ich habe mich in diese Stadt verliebt, schaute auf mein Leben in Los Angeles und dachte, was mache ich dort noch, ich gehöre hierher. Ich liebe es: die Gastroszene, die üppigen Pflanzen, die freundlichen Leute.»
Pilar Marroquin, Beraterin aus Guatemala, ist erfreut, wie sich die Stadt und gerade auch die Gastroszene entwickelt hat. Die Lebensqualität sei hoch. «Man kann mit dem Hund spazieren gehen, Kaffee trinken, es fühlt sich sehr europäisch an.» Quartiere wie dieses gelten als sicher, die sonst hohe Kriminalitätsrate in Mexiko ist hier kein Thema.
Wie so oft bringt der Boom Vor- und Nachteile. Mieten und Essen sind für Einheimische teils unerschwinglich geworden. Auch Isaac Aves kauft Lebensmittel nicht mehr im Quartier ein. «Alles ist teurer geworden. Aber es gibt kleinen Unternehmen auch die Möglichkeit, mehr zu verdienen.» Wie etwa dem Café Saint: Managerin Thania Tule Lugardo sagt, sie seien in den vier Jahren seit der Eröffnung enorm gewachsen. «Wir haben mit vier Angestellten angefangen und heute sind wir fast 52. Das ist toll.»
Durchgestylte Drinks und Heuschrecken-Snacks
Im malerischen Stadtteil Roma Norte bummeln die Menschen zwischen Cafés, Läden und Galerien. Viola Pinal, Innenarchitektin aus der kleinen Stadt Campeche, streift durch die bekannte Galerie OMR. Mexiko-Stadt habe kulturell enorm viel zu bieten. «Vor allem in Sachen Kultur und Geschichte ist die Stadt unglaublich.»
Abends füllen sich die Restaurants. Auch die Nummer drei der besten Bars der Welt ist nicht weit. Beim Eintreten schallt einem «Bienvenido» im Chor entgegen. Eine herzliches Willkommen, kunstvolle Cocktails, Heuschrecken in der Apéroschale – Mexikanische Tradition und Moderne vermischen sich in der Bar «Handshake Speakeasy». Typisch dafür, was die Anziehungskraft dieser Stadt ausmacht, die sich gerade neu erfindet.