Worum geht es beim Ruanda-Plan? Die britische Regierung unter Premier Rishi Sunak will Menschen, die illegal in Booten über den Ärmelkanal ins Vereinigte Königreich gelangen, unabhängig von ihrer Herkunft, nach Ruanda abschieben. Sie sollen in dem ostafrikanischen Land einen Asylantrag stellen, eine Rückkehr nach Grossbritannien ist nicht vorgesehen. Ruanda bekommt im Gegenzug Geld. Dafür haben Ruanda und Grossbritannien einen Vertrag aufgesetzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte bereits 2022 einen ersten Flug mit Migrantinnen und Migranten nach Ruanda gestoppt.
Was ist der aktuelle Stand? Der Ruanda-Vertrag wurde im November vom obersten Gericht in Grossbritannien für rechtswidrig erklärt. Dies, weil den Flüchtlingen in dem Land, dem Kritiker Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, kein faires Asylverfahren garantiert werden könne. Die britische Regierung will das Gericht nun aushebeln und ein Gesetz einführen, das Ruanda zum sicheren Drittland erklärt. Gleichzeitig soll damit der Rechtsweg in Grossbritannien unter Berufung auf Menschenrechte ausgeschlossen werden. Der Gesetzesentwurf wird derzeit zwischen dem Ober- und dem Unterhaus – den britischen Parlamentskammern – hin- und hergereicht.
Warum gerade Ruanda? «Das liegt eindeutig an Ruandas Präsident Paul Kagame», sagt SRF-Afrika-Korrespondentin Anna Lemmenmeier. «Kagame ist zwar ein Diktator, aber er weiss sich extrem gut zu verkaufen als einer, der das Land aus dem Genozid führte und es sauber, sicher und stabil machte.» Das Bild, das die Regierung gegen aussen trage, trüge jedoch. «Jegliche Opposition im In- und Ausland wird verfolgt.» Zudem hatte Ruanda bereits einmal einen Flüchtlingsdeal – und zwar mit Israel. «Damals wurden schätzungsweise 4000 Flüchtlinge ausgeschafft. Es zeigte sich: Das System funktioniert nicht, die Leute waren nicht sicher in Ruanda.» Das Land habe ausserdem keinerlei Erfahrungen oder bereits existierende Institutionen für faire Asylverfahren.
Was hat Ruanda vom Deal? Ruanda hat bislang 240 Millionen Pfund (knapp 264 Millionen Franken, Stand Dezember 2023) erhalten, ohne dass dort ein Flüchtling aus Grossbritannien angekommen ist. Doch das Geld sei nicht Ruandas Anreiz, sagt Lemmenmeier. «Vielmehr geht es um die positive Werbung für das Land und die Regierung. Das funktioniert mit Kagame. Er ist schlau und eloquent.»
Wie geht es weiter? Nächste Woche debattiert das Oberhaus erneut über das Gesetz, für das Sunak selbst von seinen eigenen Konservativen Kritik erntet. Laut SRF-Grossbritannien-Korrespondent Patrik Wülser geht man davon aus, dass das Oberhaus den Entwurf mit Einschränkungen und Bedingungen anreichern wird. «Das letzte Wort wird das Unterhaus haben.» Dieses werde noch vor den Parlamentswahlen, die voraussichtlich im Herbst stattfinden, über das Gesetz entscheiden.
Welche Bedeutung hat der Ruanda-Plan für Sunak? In den vergangenen Jahren erreichten jeweils 30'000 bis 40'000 Migranten das Vereinigte Königreich über den Ärmelkanal. «Die Abschiebung von Migrantinnen und Migranten nach Afrika gehört zu den grossen Wahlversprechen von Sunak», sagt Wülser. «Politisch wäre es für den Premierminister sehr wichtig, dass mindestens ein Flieger mit illegal eingereisten Migranten in Richtung Ruanda abhebt.» Eine nachhaltige Lösung sei das nicht: «Nicht mehr als ein symbolischer Tropfen auf den heissen Stein.»