Kein Leben wurde wohl je präziser kartographiert als jenes der Queen. Fast über jeden Tag ihres langen Daseins gibt es Bilder und Dokumente.
Viele Britinnen und Briten würden die Biografie der Queen wohl besser kennen als jene der eigenen Mutter, erklärte Craig Brown kürzlich einigen Auslandskorrespondenten in einem Club in London unweit des Buckingham Palace: «Bereits ihre Geburt machte Schlagzeilen. Ihre erste Biografie erschien, als sie vier Jahre alt war. Ein Jahr später war sie auf dem Titelblatt der ‹Times›.»
Niemand in der Menschheitsgeschichte sei so lange berühmt gewesen wie sie. Amerikanische Präsidenten oder die Beatles waren es einige Jahre. Und sie haben alles dafür getan, um überhaupt berühmt zu werden. Die Queen nicht. Sie sei weder in Talkshows aufgetreten, noch habe sie Interviews gegeben. Und das sei ziemlich einzigartig, sagt der Autor Craig Brown.
«Es war ihre Funktion, ein unbeschriebenes Blatt zu sein»
Die Queen war im Alltag überall zu sehen. Auf Münzen, Briefmarken, Banknoten. Trotzdem blieb sie zeitlebens ein Rätsel.
«Es war ihre Funktion, ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Sie musste eine Königin für alle sein. Ihre Aufgabe war es, lebenslänglich nichts falsch zu machen», sagt Brown. Und dann gab es dieses seltsame Protokoll, dass die Queen Fragen stellen durfte, aber man durfte ihr keine Fragen stellen. «Das machte Gespräche ziemlich einseitig. Es bedeutete aber auch, dass sie sehr wenig von sich preisgeben musste.»
Im Verlauf ihres Lebens sei die Königin wohl vier Millionen Menschen persönlich begegnet, schätzte einst Premierminister David Cameron.
Queens Begegnungen mit kontroversen Staatsgästen
Die Queen war Oberhaupt eines Imperiums, das von Kanada über Indien bis nach Australien reichte. Als Königin eröffnete sie Spitäler und Schulen, absolvierte Staatsbesuche rund um den Erdball und schlug Untertanen zu Rittern. Ein ganzes Kapitel widmet Brown den Staatsgästen, welche die Queen im Auftrag der britischen Regierung im Buckingham Palast empfangen musste. Darunter kontroverse Figuren wie Simbabwes Langzeitherrscher Robert Mugabe, der russische Präsident Wladimir Putin oder der ugandische Diktator Idi Amin.
In diesem Kapitel hat auch Donald Trump einen kurzen Auftritt. Die Queen soll einmal geäussert haben, dass sie Trump als «very rude» empfunden habe, schreibt Brown. Besonders unhöflich habe sie es empfunden, dass er ständig über ihre Schulter geblickt habe, als sie mit ihm gesprochen habe. So als halte er Ausschau nach jemandem, der ein bisschen interessanter sei als sie.
Als ein amerikanischer Journalist Trump mit dieser Aussage konfrontiert hat, soll dieser ziemlich ungehalten reagiert haben, berichtet der «New Yorker». «Ich finde es eine Schande, dass ein Dreckskerl ein Buch schreiben kann, das völlig falsch ist. Ich habe keine Ahnung, wer dieser Brown ist.» Dessen Verleger ist sicher schon dabei, den Schutzumschlag von «A Voyage around the Queen» mit dieser prominenten Kritik zu ergänzen. Wenig Grund, an Browns unbekannter Quelle zu zweifeln, liefert Trumps gegenteilige Behauptung, er sei der «Lieblingspräsident der Königin» gewesen.
Auch Craig Brown ist ihr einmal begegnet. Als Student sei er der Queen während eines Empfangs vorgestellt worden. Sie habe ihn gefragt, was er mache. Er studiere Drama. «Oh wie interessant» habe sie höflich geantwortet. Er habe das falsch interpretiert. Ungefragt habe er der Queen, in epischer Länge, Brechts Drama-Theorie erklärt, während die Höflinge die Augen verdreht hätten. Mit diesem Benehmen, für das er sich heute noch schäme, sei er jedoch in bester Gesellschaft.
Viele reagieren mit «royalem Reflex» auf die Queen
«Die meisten Leute haben Schwachsinn geredet, wenn sie plötzlich jener Frau gegenüberstanden, die sie bislang nur von Bildern oder Briefmarken kannten. Selbst Nobelpreisträger begannen zu stottern.» Psychologen würden vom royalen Reflex sprechen. Eine Art Schockzustand. Phil Collins soll in ihrer Anwesenheit plötzlich unkontrolliert gepfiffen haben: den Soundtrack aus dem Film «Unheimliche Begegnung der dritten Art». Ein typischer Fall des royalen Reflexes, meint Brown lachend.
Die Queen habe meist mit Humor reagiert. Während eines Gesprächs mit einer Abgeordneten habe deren Mobiltelefon geläutet. «Nehmen sie es ruhig ab», habe die Königin gesagt. «Es könnte jemand Wichtiges sein.»
Stets sei die Monarchin mitfühlend gewesen. Als ein britischer Militärchirurg, der eben von einem Kriegseinsatz aus Aleppo zurückgekehrt war, ihr bei einem Lunch von seinen Erlebnissen berichten sollte, sei dieser von seinen Erinnerungen überwältigt worden und war sprachlos. Um die Situation zu entspannen, habe sie ihn höflich gefragt, ob er ihr allenfalls kurz helfen könnte. Danach habe die Queen zusammen mit dem traumatisierten Arzt schweigend eine halbe Stunde ihre Hunde gefüttert.
Die Corgis standen für das Chaos
«Psychologisch betrachtet könnte man wohl sagen, dass die Hunde in dieser geordneten Welt das Chaos repräsentierten.» Die Anarchie als Kontrapunkt zum devoten Protokoll der Höflinge. «Ihre Corgis haben zwar nicht gehorcht, das royale Mobiliar malträtiert, selbst Staatsgäste angeknurrt, Minister in die Knöchel gebissen», schreibt Brown in seinem Buch, «aber sie waren verschwiegen und die Queen musste keine Angst haben, dass sie ihr Leben in einer Fernseh-Talkshow ausbreiten».
Menschen, die zwölf Hunde halten, werden für gewöhnlich als leicht exzentrisch betrachtet. Ebenso wirken Familien, die in einem Palast mit 1000 Zimmern leben, leicht aus der Zeit gefallen. Besonders, wenn diese Merkwürdigkeiten jedes Jahr mit rund 400 Millionen Franken Steuergeldern finanziert werden. Was die Magie der Monarchie ausmacht, darüber kann selbst Craig Brown nur orakeln.
Die Krone bietet Gesprächsstoff
«Die Monarchie eint das Land. Man kann nicht ewig über das Wetter reden. Wenn das Wetter-Thema erschöpft ist, kann man über Harry und Meghan reden. Und da gibt es immer etwas zu sagen.» Neben der ganzen Prachtentfaltung der Monarchie und ihrer konstitutionellen Funktion sei dieser Aspekt nicht zu unterschätzen. Die Leute würden gerne über andere Leute reden. «Und weil es unhöflich ist, über die Nachbarn zu reden, redet man lieber über Leute, die man zwar kennt, die aber ein bisschen weiter weg sind.»
Und je mehr Grossbritannien auf der Weltbühne an Bedeutung verloren habe, desto wichtiger sei halt das Königshaus, grinst der Satiriker. Ohne Krone und Krönchen würde man sich am Ende nicht mehr von den Isländerinnen und Isländern unterscheiden. In dem Sinn ist sein Buch nicht nur eine Annäherung an die Queen, sondern ebenso eine Exploration der Seele ihrer Untertanen.