Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat in den letzten Tagen bewiesen: Er erkennt, wann ein Thema das Herz seiner Bürgerinnen und Bürger bewegt. Seit Montag kümmert er sich nur um die Notre-Dame in Paris. Er hat deshalb sogar eine wichtige TV-Ansprache verschoben. In dieser wollte er ankündigen, mit welchen Massnahmen er auf die monatelangen Proteste der «Gilets Jaunes» reagieren will.
SRF News: Was ist aus Macrons Fernsehansprache geworden?
Daniel Voll: Er hatte sie bereits aufgezeichnet. Nach den ersten Nachrichten über den Brand in der Notre-Dame hat er anscheinend überlegt, ob er die Rede live halten und die Kathedrale einbauen soll. Von dieser Idee ist er dann schnell wieder abgekommen und hat die Rede auf nächste Woche verschoben. Aber der Redetext war bei den Redaktionen, seit Dienstag dringen erste Details durch. Nur das Elysée hält sich weiterhin an das Embargo und nimmt keine Stellung.
Erwartet wurden vor allem Zugeständnisse bezüglich der Sparpläne. Macht Macron solche?
Ja. Er verspricht zum Beispiel, dass bis Mitte 2022 keine Schulen oder Spitäler mehr geschlossen werden. Das gilt also bis Ende seiner ersten Amtszeit – ausser, wenn dies von den betroffenen Gemeindebehörden gefordert wird. Das ist auch ein Zeichen, dass Präsident Macron Gemeindepolitiker in Zukunft ernster nehmen will.
Der Präsident ist nicht mehr so kategorisch wie bisher.
Ein weiteres kontroverses Thema war die Abschaffung einer Vermögenssteuer für Reiche. Wie versucht Macron zu besänftigen?
Im Moment nur sehr indirekt. Die Vermögenssteuer will er weiterhin nicht wieder einführen. Aber der Präsident ist nicht mehr so kategorisch wie bisher. Er öffnet sich eine kleine Türe. Die Vermögenssteuer soll Ende Jahr auf ihre Wirkung überprüft werden. Und wenn bis dann keine neue Arbeitsplätze geschaffen werden, könnte sie auch wieder eingeführt werden.
Wird das die Gelbwesten auf der Strasse besänftigen?
Beim harten Kern war bis jetzt jede Konzession des Präsidenten zu spät und zu wenig. Dabei dürfte es auch diesmal bleiben. Die grosse Mehrheit wird vielleicht positiv zur Kenntnis nehmen, dass die Regierung weitere Massnahmen zur Verbesserung tiefer Einkommen und Renten verspricht. So sollen Renten unter 2000 Euro wieder an die Teuerung angepasst werden.
Leistungskürzungen werden wieder zu politischen Spannungen führen.
Daneben werden Massnahmen, die Macron Ende 2018 angekündigt hat, dauerhaft, etwa die Prämiensenkung auf den Beiträgen für die Sozialversicherung bei tiefen Renten oder steuerfreie Beiträge auf Weihnachtsprämien. Die grosse Frage ist aber, wie die Regierung dies finanzieren will, denn Leistungskürzungen werden schwierig sein und wieder zu politischen Spannungen führen.
Macron hat die nationale Debatte im Januar lanciert. Kann man schon sagen, was sie gebracht hat?
Die grosse Debatte hat dem Präsidenten eine Art Atempause gegeben und die Möglichkeit, mit Lokalpolitikern und Bürgerinnen und Bürgern direkt ins Gespräch zu kommen und den Puls zu fühlen. Ob ihm das wirklich gelungen ist, ist ohne konkrete Massnahmen schwierig zu beurteilen.
Hat der Brand an der Notre-Dame etwas an Macrons ramponiertem Image geändert?
Macron hat sicher nicht schlecht reagiert. Wenn er seine Rede gehalten hätte, wäre sie hinter dem Grossbrand von Notre-Dame vollkommen unbeachtet geblieben. So aber hat er sich als Vertreter der nationalen Interessen präsentiert, in der Rolle eines Landesvaters, der sich wirklich um die Sorgen der Leute kümmert. Das ist eine Rolle, wie sie die Franzosen lieben.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.