Viele taten sich schwer, bei dem erzwungenen Neustart nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel, ihre Wahl zu treffen – jetzt tut sich die Politik schwer, mit diesem Resultat umzugehen. Es bleibt völlig offen, wer das Land führen soll.
Sieger sind Olaf Scholz und die SPD. Es ist ihnen gelungen, die Talfahrt der letzten Jahre zu stoppen. Das ist das Verdienst des bisherigen Finanzministers, hinter den sich die Partei ohne Störmanöver von links stellte.
Scholz war schon als Erster Bürgermeister von Hamburg auch für Bürgerliche wählbar. Er steht für den Wechsel ohne allzu grosse Veränderung. Aber erobert er auch wirklich das Kanzleramt?
Zweifel an Laschet rissen nicht ab
Grosse Verliererin ist die Union aus CDU und CSU: Nach dem dramatischen Einbruch vor vier Jahren legt sie mit einem ebensolchen Verlust nach. Lag das Ziel einst bei über 30 Prozent, ging es zuletzt nur noch darum, die SPD zu überholen.
Viele wurden mit dem Kanzlerkandidaten Laschet einfach nicht warm. Die Querschüsse des Bayerischen Ministerpräsidenten Söder sorgten dafür, dass Zweifel an Laschet nicht vergessen gingen. Aber muss Laschet all das kümmern, wenn er womöglich selbst vom zweiten Platz aus Kanzler würde? Diese Absicht ist am Wahlabend klar erkennbar.
Zentrale Rolle der Grünen und der FDP
Die Grünen waren mit dem Führungsanspruch ins Rennen gestiegen. Der Höhenflug im Frühling gab ihnen recht. Angesichts jener Perspektiven muss das Resultat enttäuschen. Es ist zwar schwer vorstellbar, dass die Klimapartei nicht Teil der künftigen Regierung wird. Aber die Diskussion darüber, ob nicht doch Robert Habeck der bessere Kanzlerkandidat gewesen wäre, dürfte nach geschlagener Schlacht lauter werden.
Auch die FDP weiss erst nach den Koalitionsverhandlungen, ob sie zu den Siegerinnen gehört. Der Druck, Teil der neuen Regierung zu werden, ist jedenfalls gross. Den hat sich Parteichef Christian Lindner selbst eingehandelt, mit seinem abrupten Abbruch der Verhandlungen beim letzten Mal.
Premiere Dreierkoalition auf Bundesebene
Deutschland wird künftig so gut wie sicher von drei Parteien regiert. Rein rechnerisch gibt es mehrere Varianten an möglichen Regierungsbündnissen. Eine Dreierkoalition kann gut funktionieren, aber der Weg dorthin ist wohl mühsam und lang. Zunächst können nun alle mit allen Sondierungsgespräche führen – es wird also Parallelverhandlungen geben.
Am erfolgreichsten werden jene sein, die zu echten Kompromissen bereit und zu gegenseitigem Vertrauen fähig sind. Und erst nach diesen kommenden Wochen oder Monaten beginnt die eigentliche Parforceleistung: Deutschland fit machen für Digitalisierung und Klimaneutralität. Oder in den Worten von Angela Merkel: «Wir müssen uns anstrengen – sehr anstrengen.»