Darum geht es: In Haiti hat angesichts überhandnehmender Bandenkriminalität und anarchischer Zustände Ministerpräsident Ariel Henry seinen Rücktritt angekündigt. Henry hatte Haiti schon vor der Ankündigung verlassen und die Ansprache von der benachbarten Insel Puerto Rico aus gehalten. Nun solle ein «Präsidentenrat» eingesetzt werden. Dem Rat sollen zwei Beobachter und sieben stimmberechtigte Mitglieder angehören. Das Gremium soll sich unter anderem aus Vertretern der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft und religiöser Gruppen zusammensetzen und die nächsten Wahlen vorbereiten.
Nach dem Tod von Präsident Moïse ist der mächtigste Bandenchef ohne politische Führung – und hat nun selber politische Ambitionen.
Kriminelle wollen die Macht: Die ohnehin instabile Lage in Haiti hatte sich Anfang März nach gewaltsamen Zusammenstössen und zwei Gefängnisausbrüchen, bei denen mehrere Tausend Bandenmitglieder freikamen, weiter zugespitzt. Der berüchtigte Bandenchef Jimmy «Barbeque» Cherizier kündigte eine Allianz mit anderen kriminellen Gangs an und erklärte, sie würden Henry stürzen. «Wir befinden uns nicht in einer friedlichen Revolution. Wir machen eine blutige Revolution in diesem Land, denn dieses System ist ein Apartheidsystem, ein böses System», sagte Cherizier. Inzwischen kontrollieren die Banden schätzungsweise 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince.
Gewalt ohne Ende: Die UNO schätzt, dass seit Beginn des neusten Chaos mehr als 360'000 Menschen vertrieben wurden, die Hälfte davon Kinder. Tausende Haitianer wurden getötet. Es gibt zahlreiche Hinweise auf Vergewaltigungen, Folter und Entführungen sowie Lösegeldforderungen. Laut der UNO leidet fast die Hälfte der rund elf Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Karibikstaates unter akutem Hunger. Die Botschafter und Diplomaten der EU und der USA haben das Land inzwischen verlassen. «Das zeigt, wie prekär die Lage vor allem in Port-au-Prince ist», sagt Esther Belliger, bei der Hilfsorganisation Helvetas für Haiti zuständig.
Schwache Polizei: Haitis Wirtschaft liegt seit Jahrzehnten am Boden, entsprechend lebt das Land praktisch ausschliesslich von Hilfe aus dem Ausland, die aber nur sehr spärlich fliesst. «Entsprechend unterfinanziert ist die Polizei», sagt Journalist Toni Keppeler. «Die Polizisten haben oft kein Benzin für ihre Autos, und diese sind oft kaputt. Es fehlt an Munition.» Die kriminellen Banden seien viel besser ausgestattet als die sowieso viel zu wenigen Polizisten im Land. Und so sei die Versuchung für die Polizisten gross, gegen Entgelt mit den Banden zusammenzuarbeiten. «So sichern sie ihr Überleben», sagt Keppeler.
Pläne für ausländische Truppen: Schon im vergangenen Oktober hatte der UNO-Sicherheitsrat eine internationale Sicherheitsmission zur Unterstützung der haitianischen Polizei genehmigt. Kenia will 1000 Polizisten entsenden und die Mission anführen – allerdings hat ein Gericht in Kenia die Pläne vorerst gestoppt. Und US-Aussenminister Antony Blinken hat die finanzielle Zusage der USA für die Mission um 100 Millionen Dollar auf 300 Millionen Dollar erhöht – allerdings ist das Geld bislang nicht vom US-Kongress freigegeben worden. Dazu sagt Esther Belliger von Helvetas: «Die Haitianer glauben nicht, dass sich das Land selber aus der Misere retten kann. Darum wäre eine internationale Sicherheitsmission sehr wichtig – sie wäre ein Hoffnungsschimmer für die Bevölkerung.»
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