Was wurde in den ersten Corona-Wochen nicht alles orakelt. Etwa, dass Chinas Aufstieg zur Supermacht erheblich gebremst wird. Dass das Regime stark unter Druck gerät. Dass die Populisten im Westen an den Rand gedrängt werden, weil die Leute in der Krise auf Staatenlenker à la Angela Merkel oder Emmanuel Macron setzen. Dass es ohne Multilateralismus, ohne Uno-Organisationen wie die WHO nicht geht. Mehr grenzüberschreitende Kooperation – wann, wenn nicht jetzt? Dass alle Kriege eingestellt werden wie Uno-Generalsekretär Antonio Guterres forderte, damit sich die Welt dem entscheidenden Kampf widmen könne, jenem gegen das Virus.
Noch liegt vieles im Nebel. Doch bereits zeigt sich: Die Nach-Corona-Zeit präsentiert sich anders, als viele erwarteten.
China: Pekings Behauptung, autoritäre Systeme seien erfolgreicher bei der Pandemiebekämpfung als demokratische, ist leicht widerlegbar. Das aggressiv vorgetragene Selbstlob Chinas verbunden mit Frontalkritik an westlichen Staaten, erntet nur vereinzelt Applaus. Doch China dürfte wirtschaftlich weniger abstürzen als viele westliche Länder. Und Xi Jinping sitzt weiterhin fest im Sattel.
USA: Keine gute Figur machen die USA. Weder meistert Donald Trump die Herausforderung zu Hause, noch übernehmen die USA international eine Führungsrolle – anders als im Zweiten Weltkrieg, in der Ölkrise, nach den Terrorattentaten von 9/11 oder der Finanzkrise 2008. Trump hat gar keine Ambition – nicht in den G7-Staaten, wo er zurzeit den Vorsitz hat, nicht bei den G20, nicht in der Uno. Die USA als Weltvormacht sind auf Tauchstation.
Europa: Kaum war die Pandemie da, stellte man verwundert fest, dass die EU in Gesundheitsfragen aussen vor ist. Gemeinsames Vorgehen? Fehlanzeige. Medizinisch wie wirtschaftlich. Die Regierung entdeckten den Nationalismus neu. Als erstes wurden die Grenzen geschlossen. Ein Schlag gegen die europäische Idee. Und, symbolisch bedeutsam, Europa verriet in der Krise die eigenen Werte: in Ungarn, in Polen. In Sachen Solidarität mit schwer betroffenen Mitgliedländern herrschte lange Funkstille. Die EU geht geschwächt aus der Krise hervor.
Populismus: Zu Beginn der Corona-Krise verschwanden die Populisten vom Radar. Matteo Salvini, Marine Le Pen, die FPÖ, die AfD, wer nahm sie noch ernst? Sogar Boris Johnson wurde kleinlaut. Es schlug die Stunde moderater Politiker. Doch vermutlich nur kurz. Schon jetzt in der Lockerungsphase geraten die Regierenden unter Druck. Er wird zunehmen, wenn Länder in die Rezession rutschen, Arbeitslosenheere anschwellen, Armut um sich greift. Dann heben all die Salvinis, Le Pens und Höckes wieder die Köpfe und gewinnen an Zulauf. Vielerorts ist mit politischen Verwerfungen und Auseinandersetzungen zu rechnen.
Geopolitik: Die Rivalität der beiden Grossen, China und Russland, nimmt weiter zu – und erfasst nach der Verteidigungs- und Wirtschafts- nun auf die Gesundheitspolitik. Die Entwicklung dürfte jetzt noch rascher zugunsten Chinas laufen. Zumal es die US-Führung nicht versteht, ja gar ablehnt, ihr eigenes Gewicht mit der jahrzehntelangen Politik der Allianzen zu erhöhen. Die liberale, westliche Weltordnung erscheint als Auflaufmodell. Die USA verlassen ihre übergrossen Fussstapfen. Europa ist nicht imstande, in sie zu treten. Weltpolitisch geben immer häufiger autoritäre Regierungen den Ton an.
Die Corona-Krise führt weltpolitisch nicht zu einer Trendumkehr. Hingegen verschärft und beschleunigt sie schon zuvor erkennbare Tendenzen. Das ist höchst unerfreulich, zumindest aus westlich-demokratischer Sicht.