Für UNO-Generalsekretär Antonio Guterres steht fest: Die Welt muss sich zurzeit auf einen einzigen Krieg konzentrieren, jenen gegen das Coronavirus. Er forderte deshalb einen weltweiten Waffenstillstand. Immerhin gut siebzig Länder unterstützen diesen Aufruf.
Das bedeutet aber zugleich, dass mehr als 120 Staaten es nicht tun, darunter die USA. Guterres räumt selbst ein, es gebe einen tiefen Graben zwischen Worten und Taten.
Wenig positive Folgen
Richard Gowan, Chef des New Yorker Büros der International Crisis Group, die sich weltweit um Konfliktlösungen bemüht, sieht zwar gewisse positive Folgen aufgrund von Guterres' Appell, etwa in Kolumbien oder auf den Philippinen.
Andernorts – in Jemen, in Syrien oder in Libyen – hat der Aufruf aber nichts gebracht. Zu grenzüberschreitender Solidarität habe die Corona-Krise dort bisher nur ansatzweise geführt. So liefern die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Golfstaaten Iran, einen Staat, den sie sonst als Feind betrachten, Hilfsgüter.
Daraus könne im besten Fall nach der Krise eine Annäherung folgen. Und nachdem sich die Regierungen in Europas Hauptstädten zunächst ausschliesslich um das eigene Land gekümmert haben, sehe man sich allmählich zur Zusammenarbeit gezwungen, sagt Gowan. Doch insgesamt ist der Kollateralnutzen der Corona-Krise bescheiden; die Kollateralschäden sind weitaus grösser.
Autokraten kommt das Virus gelegen
Zumindest kurzfristig sind Autokraten die grossen Profiteure dieser Krise. Wahlen werden verschoben, ganz abgesagt oder finden irregulär statt. Proteste gegen Machthaber fallen Corona-bedingt aus, etwa in Algerien, Hongkong, Russland oder Venezuela. Autoritäre Führer erweitern ihre Vollmachten, etwa in Ungarn.
Zu den Krisengewinnlern gehören laut dem UNO-Generalsekretär auch Extremisten und Terrororganisationen. Die Virus-Krise befeuert auch die Spannungen zwischen den USA und China, sagt Gowan: In der Finanzkrise 2008 hätte die beiden Weltmächte zum Schulterschluss zusammengefunden, diesmal passiere genau das Gegenteil.
Experte rechnet mit Chaos
Dramatisch zuspitzen dürfte sich die weltpolitische und weltwirtschaftliche Lage, wenn nun Drittweltländer voll erfasst werden von der Pandemie. Nicht nur ihr Gesundheitswesen dürfte kollabieren, sondern ihre gesamte Wirtschaft. Das könnte zwar den einen oder anderen Autokraten das Amt kosten, doch danach hielten kaum Stabilität und Demokratie Einzug. Wahrscheinlicher seien Chaos und Elend und damit enorm wachsende Migrationsströme.
Schliesslich lähmt die Corona-Krise die Friedensbemühungen an zahlreichen Konfliktherden. Friedensprozesse sind ausgesetzt, Vermittler zur Untätigkeit gezwungen, politische Verhandlungen auf die lange Bank geschoben und UNO-Blauhelmtruppen blockiert.
Alles in allem drohen aufgrund der Corona-Krise mehr und längere Konflikte. Die weltpolitischen Langzeitfolgen dürften gravierend sein.