Zur systematischen Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren und Kasachen übt China auch massiven Zwang auf Frauen aus. Zwangssterilisationen, Zwangsverhütung und Abtreibungen seien die Mittel, berichtet der Anthropologe Adrian Zenz. In einer neuen Studie verweist er auch auf einschlägige Regierungsdokumente. Recherchen der Nachrichtenagentur AP kommen zu ähnlichen Resultaten.
SRF News: Sie sprechen vom «demografischen Genozid» an den Uiguren. Wie kommen sie zu diesem Resultat?
Adrian Zenz: Ich stellte bereits im letzten Jahr erstmals fest, dass die Geburtenraten in der Region Xinjiang unnatürlich stark zurückgegangen waren. Ich bin in der Folge auf eine systematische Kampagne der Regierung in Peking gestossen, Geburten zu verhindern. Und zwar durch den massenhaften Einsatz von Spiralen, Strafen für zu viele Kinder sowie durch eine Sterilisierungs-Kampagne in mindestens zwei Uiguren-Regionen.
Die chinesische Regierung bestreitet das. Wie halten Sie dagegen?
Der chinesischen Regierung bleibt nicht anderes übrig, als das Ganze zu leugnen. Das kann sie nur auf pauschale Art und Weise. Denn meine Forschung stützt sich auf die eigenen Dokumente der Regierung. Der Begriff «Geburtenverhinderung» ist dabei wohl treffender als «Geburtenkontrolle».
Der Begriff «Geburtenverhinderung» ist dabei wohl treffender als «Geburtenkontrolle».
Wie geht die chinesische Regierung vor?
Das System basiert auf mehreren Pfeilern: Einerseits wird die Verletzung der Regierungsanweisungen drakonisch mit Internierung in Lagern oder Gefängnissen geahndet. Zudem sind die Geldstrafen stark gestiegen. Wer nicht innert dreier Tage zahlt, kommt ins Lager. Die Regierung hat sich das Ziel gesetzt, dass mindestens 80 Prozent der Minderheiten-Frauen Verhütungsmassnahmen wie Spiralen einsetzen oder sich sterilisieren lassen müssen. Es werden also massenweise Spiralen eingesetzt.
Ich habe zudem konkrete Nachweise, dass in zwei Regierungskreisen in uigurischen Minderheiten-Regionen innerhalb des letzten Jahres zwischen 14 und 34 Prozent aller gebärfähigen Frauen schlagartig zwangssterilisiert werden sollten. Das ist vielleicht die erschreckendste Erkenntnis.
Ich habe konkrete Nachweise, dass 2019 in zwei Regierungskreisen zwischen 14 und 34 Prozent aller gebärfähigen Frauen schlagartig zwangssterilisiert werden sollten.
Wie hat Peking das System organisiert?
Auf lokaler Ebene wird dafür der ganze Regierungsapparat eingesetzt. Polizei und Familienplanungsbehörden spielen zusammen. Die Minderheiten werden engmaschig überwacht. Es gibt regelmässige Familienbesuche. Han-chinesische Kader wohnen, essen und schlafen zum Teil mit den uigurischen Familien.
Frauen werden mindestens einmal pro Monat besucht. Es gibt Schwangerschaftstests. Vierteljährlich werden die Frauen darauf kontrolliert, ob die Spiralen noch eingesetzt sind. Die neuesten Anweisungen von 2018 besagen, dass alle Frauen, die keine ganz klare Kontraindikation haben, «schnellstens» eine Spirale einsetzen müssen.
Frauen werden mindestens einmal pro Monat besucht. Es gibt Schwangerschaftstests. Vierteljährlich werden die Frauen darauf kontrolliert, ob die Spiralen noch eingesetzt sind.
Warum wird die Minderheit der Uiguren als Bedrohung angesehen?
Die Regierung in Peking hat entschieden, dass dieses Volk in jeder Hinsicht unterjocht werden muss. Es ist eine langfristige Strategie der Assimilierung. Gleichzeitig ist es eine Kampagne der rassistischen Kolonisation. Die Daten belegen, dass zwei Millionen Han-Chinesen zwischen 2015 und 2018 in die Region gelockt wurden.
Mit den neuesten Erkenntnissen wird auch eines der fünf Kriterien der UNO-Völkermordkonvention erfüllt, nämlich die Verhinderung von Geburten. Damit stellt sich jetzt die Frage, ob sich der kulturelle Genozid zunehmend in Richtung eines demografischen Genozids entwickelt.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.