In Deutschland hat ein Gericht am Mittwoch das Verbot des rechtsextremen «Compact»-Magazins vorübergehend aufgehoben. Innenministerin Nancy Faeser hatte das Verbot verfügt, noch bevor das eigentliche Verfahren abgeschlossen ist. Das Gericht fand ein solches Verbot aber nicht verhältnismässig.
Claudia Kade ist Inlandchefin bei der deutschen Tageszeitung «Die Welt». Sie spricht von einem Debakel.
SRF News: Warum hat das Gericht das Verbot wieder gekippt?
Claudia Kade: Die Richter hatten Zweifel, ob der Verbotsgrund der Verfassungsfeindlichkeit, der von der Innenministerin Faeser genannt wurde, überhaupt erfüllt ist. Die Richter haben anerkannt, dass es in den Veröffentlichungen durchaus Anhaltspunkte für eine besondere Verletzung der Menschenwürde gibt und auch für eine kämpferische, aggressive Haltung gegenüber Verfassungsgrundsätzen. Ob das aber für diesen sehr weitreichenden Eingriff in die Pressefreiheit ausreicht, hatten die Richter Zweifel.
Bereits zu Beginn gab es Kritik am Verbot. Dieses halte wohl vor Gericht nicht stand. Das ist nun bestätigt. Warum wurde das Verbot trotzdem ausgesprochen?
In der Tat gab es massive Zweifel, nicht nur von externen Juristen, sondern auch aus dem Ampel-Regierungsbündnis. Dieses Verbot fällt in eine Zeit, in der Deutschland massive Probleme hat mit einem erstarkenden Rechtsextremismus, mit der Identitären Bewegung, die in Deutschland immer mehr Fuss fasst. Die Ampelregierung versucht seit Monaten ein schärferes Vorgehen an den Tag zu legen. Sie ist aber in diesem Fall übers Ziel hinausgeschossen.
Es ist ein Eigentor gewesen.
Tatsächlich haben sich SPD, Grüne und FDP diesen «Kampf gegen Rechts» zum Fokus gemacht. Darum drehte sich der ganze Europawahlkampf. Nun stehen in Deutschland drei Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern an, wo die Rechtsaussenpartei AfD in den Umfragen weit vorne steht. In diesen Kontext passt dieses Verbot. Aber es ist ein Eigentor gewesen.
Nun kann das «Compact»-Magazin weiter erscheinen – zumindest bis das eigentliche Verfahren abgeschlossen ist. Das könnte sich hinziehen. Wie sehr nützt den Verantwortlichen des Magazins diese Entwicklung?
Das ist das eigentliche Debakel. Denn es besteht kein Zweifel, dass «Compact» eine rechtsextreme Publikation ist. Aber ausgerechnet diese Publikation kann sich jetzt als Verfechterin der Presse- und Meinungsfreiheit feiern. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die Innenministerin erreichen wollte. Die AfD, die sich mit «Compact» offenbar verbündet fühlt, triumphiert. Das ist in den schon erwähnten ostdeutschen Landtagswahlkämpfen ein Triumph für die Partei, die man eigentlich bekämpfen wollte.
Es schürt weiter Zweifel am politischen Handwerk der Ampel.
Für die Ampelregierung ist es nicht die erste Niederlage vor Gericht. Es gab bereits Probleme beim Haushalt oder auch bei der Wahlrechtsreform. Hat diese Regierung ein Problem mit dem Rechtstaat?
Zumindest scheint sie seine Grenzen immer wieder austesten zu wollen. Es war im vorigen Jahr ein riesiges Fiasko für die Ampel, dass die Haushaltstricks, die angewendet wurden, vom Verfassungsgericht moniert wurden und daraufhin hohe Milliardensummen eingespart werden mussten. Beim Wahlrecht war es eine Teilniederlage, die die Ampel kassierte, weil die Wahlrechtsreform so eklatant die Oppositionsparteien benachteiligte, dass das Gericht sagte: So geht es einfach nicht. Und das ist für das ohnehin schwer ramponierte Ansehen der Ampelregierung fatal: Es schürt weiter Zweifel am politischen Handwerk der Ampel.
Das Gespräch führte Nicolà Bär.