Weltweit setzen mittlerweile über 40 Länder auf Corona-Apps zur Kontaktverfolgung. In einigen Ländern ist eine App noch in der Pipeline. SRF-Korrespondentinnen und Korrespondenten stellen sechs von ihnen vor.
Deutschland: App lässt weiter auf sich warten
Bereits an Ostern hätte die Tracing-App in Deutschland an den Start gehen sollen – und noch immer ist sie nicht da. Für Gesundheitsminister Jens Spahn wird die Sache langsam peinlich. Die ersten Wochen wurde vor allem über den Datenschutz gestritten bis die Kanzlerin ein Machtwort sprach und eine Lösung ohne zentralen Speicher durchsetzte.
Dann kamen erste Entwürfe und mit ihnen die technischen Probleme: Die Abstandsmessung über Bluetooth zum Beispiel war ungenau. Und die App musste immer geöffnet sein, damit sie überhaupt funktionierte – andere Apps konnten daneben nicht genutzt werden. Das leert den Akku und macht die Sache unpraktikabel.
Nun hofft die deutsche Regierung auf einen Start Mitte Juni. Die Nutzung der App wird freiwillig sein, und genau darin liegt das Problem: Je länger die App auf sich warten lässt, desto weniger Menschen sind von ihrer Dringlichkeit überzeugt und wollen mitmachen.
Laut Experten müssten mindestens 60 Prozent der Bevölkerung, also rund 50 Millionen Deutsche, die App nutzen, damit sie zweckmässig funktioniert. Die populäre Nachrichten-App WhatsApp zum Beispiel brauchte in Deutschland zehn Jahre, um solche Nutzerzahlen zu erreichen.
Bettina Ramseier, SRF-Korrespondentin in Berlin
China: Keine App – kein Zutritt
Ob Laden, Hotel, Bahnhof oder Flughafen, der Ablauf ist immer der gleiche: Am Kontrollpunkt den Gesundheits-Code im Smartphone aufrufen. Und während die App lädt, eine bange Sekunde lang warten, welches Resultat sie anzeigt. Das ist in China seit Mitte Februar Alltag.
Es gibt keine einheitliche Tracing-App. Je nach Stadt oder Provinz kommen unterschiedliche Plattformen zum Einsatz. Entwickelt wurden diese von verschiedenen Technologiefirmen in enger Zusammenarbeit mit den chinesischen Behörden. Eine der an den weitesten verbreiteten Lösungen stammt von Alibaba.
Der Internetriese hat seine Applikation direkt in die hauseigene Bezahl-App Alipay integriert. Bei der Registrierung muss etwa der Gesundheitszustand beschrieben und persönliche Daten wie Name, Adresse, Ausweis- und Telefonnummer hinterlegt werden.
Nutzer erhalten automatisch einen Farbcode zugeteilt. Wer grün eingestuft wird, darf sich frei bewegen. Wer einen gelben oder roten Code erhält, muss in Quarantäne. Dabei ist unklar, wie genau die Zuordnung des Farbcodes funktioniert und was genau mit den Daten passiert.
Zwar ist niemand verpflichtet diese Apps zu nutzen, aber es führt kein Weg an ihnen vorbei. Ein grüner Gesundheitscode ist das Eintrittsticket ins öffentliche Leben.
Claudia Stahel, SRF-Korrespondentin in Schanghai
Australien: Begeisterung für App lässt nach
Es ist ruhig geworden in Australien um die Covid-19-App. Nachdem die Regierung noch vor zwei Wochen den Download jedem Handy-Besitzer als patriotische Pflicht nahegelegt hatte, sprechen heute nur noch wenige Politiker davon. Bis Mitte Mai hatten 5.7 Millionen Personen die App installiert. Damit die App wirksam wäre, bräuchte es aber 10 Millionen.
Die App hatte auch Kinderkrankheiten: Zunächst funktionierte die Installation auf Geräten von Apple nicht reibungslos. Zudem war die Weiterleitung von Daten an die regionalen Gesundheitsbehörden nicht möglich. Meldungen über solche Hürden dürften den ursprünglichen Enthusiasmus vieler Australier für die App gedämpft haben.
Ein noch grösseres Hindernis aber ist die Furcht einiger Kritiker, die Daten könnten von australischen Geheimdiensten missbraucht und sogar an ausländische Behörden weitergegeben werden könnten.
Die Australier werden gebeten, ihren Namen (oder ein Pseudonym), die Altersgruppe, Postleitzahl und Telefonnummer zu registrieren. Diese Informationen werden verschlüsselt auf einem Server der Regierung gespeichert. Die Funktionsweise ist dann ähnlich wie in anderen Ländern. Mithilfe von Bluetooth – nicht mit GPS – zeichnet die App anonymisiert jeden auf, dem sich die Person nähert und der ebenfalls die App besitzt.
Wenn jemand mit dem Coronavirus infiziert ist, wird mit seinem Einverständnis die Liste der anonymisierten Identitäten zur Ermittlung von Kontaktpersonen hochgeladen. Anhand der Signalstärke und anderer Daten wird dann von den Behörden ermittelt, wen sie kontaktieren.
Urs Wälterlin, SRF-Korrespondent in Wombat Creek (Australien)
Frankreich: App-Start mit Nebengeräuschen
Nachdem Senat und Nationalversammlung letzte Woche widerstrebend der Operation «StopCovid» zugestimmt haben, ist die Corona-Warn-App in Frankreich seit Dienstag dieser Woche in Betrieb. Die App erfasst mithilfe von Bluetooth-Signalen, welche Smartphones einander näher gekommen sind.
User werden dann gewarnt, wenn sich später herausstellt, dass sie sich neben infizierten Personen aufgehalten haben. Diese Warnung ist anonymisiert, d. h. man kann nicht erkennen, wer infiziert ist. Die Beteiligung an der «StopCovid»-App ist freiwillig, auch für Infizierte.
Gespeichert werden die Daten allerdings nicht auf dem jeweiligen Smartphone, sondern auf einem zentralen Server, was Datenschützer und Oppositionspolitiker skeptisch macht.
Jean-Luc Mélenchon von der linken Partei France Insoumise bezeichnete die App als freiheitsberaubend. Für Rechtspopulistin Marine Le Pen ist sie ein Ablenkungsmanöver, um das Versagen der Regierung bei der Beschaffung von Schutzmasken und Tests zu kaschieren. Digital-Minister Cédric O hält dagegen, die App könne Menschen retten.
Kritisiert wird auch, dass die französische App nicht von den neuen Schnittstellen unterstützt wird, die Apple und Google für Corona-Tracing-Apps kürzlich für iOS und Android bereitgestellt haben. Das führt offenbar beim iPhone von Apple dazu, dass die App nicht im Hintergrund laufen kann. Experten halten sie damit für quasi unbrauchbar.
Laut einer Meinungsumfrage sind aber 62 Prozent der Franzosen bereit, die App herunterzuladen. Allerdings besitzen 23 Prozent der Franzosen gar kein Handy. In den ersten knapp 24 Stunden verzeichnete die App mehr als 600'00 Downloads.
Alexandra Gubser, SRF-Korrespondentin in Paris
Grossbritannien: Noch in der Testphase
Die britische Tracing-App wird vom staatlichen britischen Gesundheitssystem, der NHS, entwickelt. Die NHS hat für die Programmierung den Schweizer Technologie- und Softwareentwickler Zühlke an Bord geholt. Eine erste Version der App wird seit dem 5. Mai auf der südenglischen Insel «Isle of Wight» getestet.
Herausfordernd ist die grosse Spannbreite an Smartphones. Nutzer mit Geräten, die drei Jahre alt waren, bekundeten Probleme. Die britische Regierung hatte trotz dieser Hürden verkündet, die App bereits Ende Mai landesweit lancieren zu wollen.
Das musste auf unbestimmte Zeit verschoben werden, denn die Entwicklung ist nicht genügend fortgeschritten. Nach anfänglicher Kritik, dass mit der Technologie Daten zentral gesammelt werden, hat die NHS eine zweite App mit dezentraler Datenspeicherung in Auftrag gegeben.
Zurzeit ist unklar, welches System letztendlich in ganz Grossbritannien zum Einsatz kommt. Experten hoffen, dass mindestens 60 Prozent der Bevölkerung die App verwenden werden, damit sie wirklich einen Beitrag zur Eindämmung des Virus leisten kann.
Henriette Engbersen, SRF-Korrespondentin in London
Italien: App weckt Hoffnungen
Seit dem 1. Juni kann jeder sie herunterladen, die italienische Tracing App «Immuni», entwickelt vom Mailänder Start-up «Bending Spoons» in Zusammenarbeit mit dem italienischen Gesundheitsministerium. Einmal installiert, fragt die App nur nach dem genauen Wohnort und generiert einen Zufallscode, der sich mehrmals pro Stunde ändert.
Dieser enthält weder Informationen über das Gerät noch über dessen Nutzer. Wenn zwei Geräte in einem Mindestabstand von zwei Metern und länger als 15 Minuten aufeinandertreffen, tauschen sie diese Zufallscodes über Bluetooth aus. Die App speichert das Aufeinandertreffen, ohne aber den Standort und die Identität des anderen aufzuzeichnen.
Die App basiert auf Freiwilligkeit. Covid-19-positiv Getestete entscheiden, ob sie ihre Zufallscodes freigeben möchten. Diese werden dann auf einen staatlichen Zentralrechner geladen und mit allen anderen Nutzern geteilt. Hat es in den zurückliegenden 14 Tagen ein Aufeinandertreffen gegeben, warnt die App und bittet die betroffenen Nutzer, sich umgehend mit dem Hausarzt oder der Gesundheitsbehörde in Verbindung zu setzen.
Der Zentralrechner speichert nur die Anzahl und den Zeitpunkt der Warnungen, nicht aber die Zufallscodes der «gesunden» Personen. Damit will Italien den höchstmöglichen Schutz der Privatsphäre garantieren. Die gewonnenen Daten dienen Epidemiologen, einen eventuellen Neuausbruch des Virus rechtzeitig zu lokalisieren.
Ab der zweiten Juniwoche soll die App nach und nach in allen italienischen Regionen aktiviert werden. Die Regierung hofft, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung «Immuni» herunterlädt.
Philipp Zahn, SRF-Korrespondent in Rom