Die erste, die Alarm schlug, war die junge Anästhesie-Ärztin Annalisa Malara. Sie behandelte in Codogno, südlich von Mailand, einen jungen Patienten mit einer schweren, hartnäckigen Lungenentzündung. Das war im Februar. Das war der sogenannte Fall eins.
Heute weiss man, dass sich das Coronavirus aber schon deutlich früher, wohl schon ab Dezember, in der Lombardei ausbreitete.
Die Region Mailand verfügt über viel Industrie und Gewerbe, die in regem Austausch mit China stehen. So erstaunt es wenig, dass die produktivsten, internationalsten Regionen Italiens am stärksten betroffen sind: die Lombardei, Venetien, das Piemont und die Emilia Romagna.
Unter diesen Regionen aber traf es die Lombardei am härtesten: Ab Mitte März konnte die Provinz Bergamo ihre Toten nicht mehr selbst kremieren, man brachte sie mit Militär-Konvois in andere Regionen.
Bergamo: Fünfmal mehr Tote als normal
Giacomo Angeloni, Mitglied der Bergamasker Stadtregierung, vermeldete beinahe fünfmal mehr Tote als sonst. In dieser Notlage gelang es der Lombardei auch nicht mehr, alle Covid-Kranken angemessen zu versorgen.
Zwar verfügt die Lombardei in der Spitzenmedizin über viel Know-how. Aber die medizinische Versorgung mit Hausärzten oder die Betreuung von Kranken zu Hause sind nur schlecht ausgebaut. Das heisst, auch Corona-Kranke mit leichten Symptomen drängten in die Spitäler. Auch darum waren die Spital-Kapazitäten in der Lombardei bald einmal erschöpft.
Genau dieser Engpass führte zu einem folgenschweren Fehlentscheid: Die Behörden begannen nämlich damit, Corona-Patienten mit leichten Symptomen von den überfüllten Spitälern auf Pflegestationen von Altersheimen zu verlegen.
Leider hat man in Altersheimen Covid-Patienten und betagte Bewohner vermischt
Eine Pflegefachfrau, die anonym bleiben möchte, sagt: «Leider hat man in Altersheimen Covid-Patienten und betagte Bewohner vermischt». Auch habe es in den Heimen an Schutzmasken, Schutzkleidung oder Corona-Tests gefehlt.
Eine andere Pflegefachfrau berichtet gar, sie habe sich privat Masken besorgt. Dafür sei sie aber von ihren Vorgesetzten gerügt worden. Denn Masken würden Angehörige nur unnötig erschrecken. Die hohen Opferzahlen in der Lombardei gehen also auch auf die vielen Verstorbenen in den Altersheimen zurück.
Keine Sperrzone trotz hohen Fallzahlen
Die Behörden begingen aber noch weitere Fehler. So haben es sowohl die Regionalregierung in Mailand als auch die Zentralregierung in Rom unterlassen, die hauptbetroffenen Provinzen Bergamo und Brescia umgehend zu Sperrzonen zu erklären.
Dies lag auch daran, dass die lokalen Unternehmer sich dagegen wehrten. Sie fürchteten die wirtschaftlichen Folgen solcher Sperrzonen.
Italien ist kein föderaler Staat. Doch das Gesundheitswesen gehört zu den wenigen Kompetenzen, die Rom den Regionen überlässt. Darum steht nun die von der rechten Lega geführte Regionalregierung der Lombardei besonders in der Kritik.
Seit 2018 regiert dort Attilio Fontana. Ein Politiker mit wenig Erfahrung und wenig Profil, der in dieser Krise die Fehler immer wieder bei andern suchte: «Wir haben in der Region rigoros das umgesetzt, was uns die Behörden in Rom vorgegeben haben», versuchte sich Fontana zu rechtfertigen.
Das sagt ausgerechnet einer, dessen Partei sonst wenig von Rom wissen will und voll und ganz auf Autonomie setzt. Zumindest bisher hat die lombardische Regionalregierung mit ihrem Krisenmanagement wenig überzeugt. Obschon, muss man einräumen, wohl auch jede andere Regierung mit der ungeheuren Wucht der Pandemie Probleme gehabt hätte.