Lange hat sich die Lombardei als Region mit der besten Gesundheitsversorgung Italiens präsentiert. Viele Patienten kamen aus dem ganzen Land, um sich bei den Spezialisten im Norden operieren oder kurieren zu lassen. Das Nord-Süd-Gefälle aber hat sich in der Corona-Krise umgedreht.
Die Infizierten und Toten sind im Norden. Der Süden Italiens dagegen hält sich nach den massiven Einschränkungen erstaunlich gut. Die Hälfte der italienischen Corona-Toten kommt aus der Region, die es zuerst getroffen hat, die aber auch am meisten entwickelt und industrialisiert ist.
Defizite in der Gesundheitsversorgung
«Abnorme Todesraten, an manchen Tagen 19 Prozent der Infizierten, mehr als in Wuhan, wo alles angefangen hat, mehr als sonst auf der Welt. Das spricht für sich», sagt Marco Imarisio, Journalist des «Corriere della Sera». Er hat über die Anfangsphase der Corona-Epidemie in der Lombardei recherchiert und enorme Defizite festgestellt. Es fehlten Intensivbetten, Schutzausrüstung für das medizinische Personal, aber auch ein funktionierendes Netz von Hausärzten.
Das Gesundheitssystem der Lombardei hat in der Anfangszeit der Corona-Krise versagt. Die Verantwortung muss jetzt die Politik übernehmen.
Denn anstatt erst zu Hause behandelt zu werden, seien alle Infizierten in die Spitäler gerannt. Diese hätten sich dann zu Ansteckungsherden entwickelt und die Fallzahlen nach oben schiessen lassen. «Das Gesundheitssystem der Lombardei hat in der Anfangszeit der Corona-Krise versagt. Die Verantwortung muss die Politik jetzt übernehmen», so Imarisio.
Schon Roberto Maroni, der Vorgänger des jetzigen Präsidenten der Region und ebenso in den Reihen der Lega von Matteo Salvini, hat in seiner fünfjährigen Amtszeit bis 2018 das System der Hausärzte und lokaler Gesundheitsämter zusammengestrichen – jene erste Versorgungslinie, die bei einer Virusinfektion wie im Fall Corona effizient hätte handeln können.
Abbau in den 1990er-Jahren
Noch früher aber hat schon Roberto Formigoni das öffentliche Gesundheitssystem abgebaut. Er regierte die Lombardei 18 Jahre lang. Als Getreuer von Silvio Berlusconi betrieb der einstige Christdemokrat eine Kahlschlagpolitik zugunsten privater Spitäler. So sank der Anteil des öffentlichen Gesundheitssektors auf die Hälfte.
Private Spitäler bekamen im Gegenzug Zugang und Abrechnung zum gesamten Tarifkatalog der staatlichen italienischen Krankenkasse. «Konkurrenz belebt das Geschäft», sagte der damalige Präsident der Lombardei. «Unsere Bürgerinnen und Bürger können sich den Arzt aussuchen, öffentlich oder privat, und bezahlen dafür nichts!»
Doch Roberto Formigoni landet im Gefängnis, wegen Schmiergeldzahlungen und Korruption in Verbindung mit privaten Gesundheitsunternehmern. Denn dank ihm handelten diese Sonderkonditionen aus und rechneten ihre Leistungen weit über Tarif ab.
Fatale wirtschaftliche Ausrichtung
Es passiert, was in einer Epidemie nicht passieren soll. In der wohlhabenden Lombardei fehlen die Intensivbetten. «Private Spitäler bieten an, was wirtschaftlich einbringt. Dazu gehört die Chirurgie – sicher aber nicht die Virologie und nicht die Intensivpflege! Gerade die ist nicht kostenintensiv und nicht gewinnbringend.»
Das lombardische Gesundheitssystem war vor allem wirtschaftlich ausgerichtet. Aber in einer Grenzsituation wie einer Epidemie, die zur Pandemie wird, reicht das nicht. Die Kollateralschäden sind bis heute nicht absehbar.