Die Szene hatte etwas Absurdes: Die Journalisten, die von der Hisbollah auf eine Tour durch Dahiye, die südlichen Vororte Beiruts und eines der Machtzentren der Schiiten-Miliz, eingeladen worden waren, wurden von ihren Führern gebeten, ein Stück weit zu Fuss zu gehen.
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Bild 1 von 4. Es dauerte nicht lange, da kamen die Journalisten an einem strategisch günstig platzierten Lastwagen vorbei, der zufälligerweise gerade dabei war, die Strassen zu «desinfizieren». (Im Bild ein ähnlicher Lastwagen zwei Tage zuvor). Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 4. Wenig später wurde die Journalistenschar zu mindestens 20 in Reih und Glied aufgereihten Krankenwagen geführt. Die Fahrzeuge der «Islamischen Institution für Gesundheit», der Gesundheitsorganisation der Hisbollah, waren mit Flaggen bestückt. Davor standen, aufgereiht wie für eine Militärparade, die Besatzungen in Schutzanzügen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 4. Im Innern einer der Ambulanzen wurden den Journalisten die medizinischen Apparate gezeigt, mit denen die Hisbollah das Corona-Virus bekämpfen will. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 4. Eines der Geräte: ein Brutkasten. Dieser sei nötig, falls ein an Corona erkranktes Baby in dem Krankenwagen transportiert werden müsse, erklärte der vermummte Sanitäter auf die verwunderte Frage. Bildquelle: Keystone.
Insgesamt will die Hisbollah 1500 Ärzte, 3000 Krankenschwestern und Rettungssanitäter sowie mehr als 20'000 weitere Aktivisten mobilisiert haben, um die Corona-Epidemie im Libanon zu bekämpfen.
Ablenken vom eigenen Versagen in der Krise?
Der Grund, weshalb die Hisbollah diese PR-Tour veranstaltete: Die Gruppierung, deren militärischer Arm von den meisten westlichen Staaten als Terror-Organisation eingestuft wird, steht in der Kritik, für die Verbreitung des Corona-Virus im Libanon verantwortlich zu sein.
Denn die ersten Infizierten, die nachweislich an Corona erkrankt waren, waren schiitische Pilger, die aus dem Iran nach Beirut zurückgekehrt waren. Als später das ganze Ausmass der von Iran ausgehenden Corona-Gefahr langsam klarer wurde, kamen selbst dann noch hunderte libanesische Studenten aus den iranischen Religionsschulen unkontrolliert zurück in den Libanon, als andere arabische Länder ihre Land- oder Luftverbindungen zum Iran schon längst geschlossen hatten.
Selbst wenn viele Reisende aus mehreren Ländern für den Import des Corona-Virus nach Libanon verantwortlich waren – ein Priester, der aus Italien kam, soll für einen Corona-Cluster verantwortlich sein, Reisende aus Mailand und Grossbritannien für andere – so stehen die viel zu lange offen gehaltenen Reiserouten vor allem aus Qom, dem Ausgangszentrum der iranischen Epidemie, im Mittelpunkt der Kritik.
Hat Hisbollah die wahren Zahlen vertuscht?
Der andere Grund für die kommunikative Vorwärts-Strategie der Hisbollah: der Gruppierung wird vorgeworfen, für die Vertuschung der wahren Corona-Zahlen im Libanon (mit-) verantwortlich zu sein.
Gemäss einem Artikel der britischen Zeitung «The Guardian» sind die grossen blauen Zelte und die auffallend vielen neu errichteten Gebäude in den Hisbollah-Gebieten im Süden des Libanon nicht wie von den Verantwortlichen behauptet eine vorausschauende Massnahme, sondern würden hier und jetzt gebraucht, um mit einem kritischen Corona-Ausbruch fertig zu werden.
Denn in den abgeriegelten Hisbollah-Gebieten im Süden des Libanon würden tausende von bestätigten oder Verdachts-Fällen in Quarantäne gehalten. Dass die libanesische Regierung, Hilfsorganisationen und die internationale Gemeinschaft das wahre Ausmass der Corona-Epidemie nicht kennen würden, sei eine Gefahr, die weit über den Libanon hinausgehe, so der Vorwurf. Dass dabei der Gesundheitsminister des Libanon ein Hisbollah-Mann ist, ist eine traurige Ironie der Geschichte.