Zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie hat Nordkorea eine Ansteckung bestätigt. Das berichten zumindest die Staatsmedien in der Nacht. Der Nordkorea-Kenner Martin Fritz ist freier Journalist in Tokio und ordnet diese Nachricht ein.
SRF News: Ist es glaubwürdig, dass in Nordkorea der erste Infektionsfall aufgetreten ist?
Martin Fritz: Das klingt in der Tat nicht sehr wahrscheinlich. Andererseits hat Nordkorea ganz zu Beginn der Pandemie im Februar vor zwei Jahren schon seine Grenzen dichtgemacht und praktisch niemanden mehr ins Land gelassen. Und die wenigen Waren, die importiert wurden, die mussten erst einmal drei Monate in Quarantäne.
Letztlich war es nur eine Frage der Zeit, bis das Coronavirus auch in Nordkorea auftritt.
Aber ich denke, diese hochansteckende Omikron-Variante lässt sich auf diese Weise nicht stoppen. Zumal es seit Januar auch wieder ein wenig Handel mit China gegeben hat. Vor zwei Wochen sind dann Zehntausende bei einer Parade durch Pjöngjang ohne Masken marschiert. Letztlich war es nur eine Frage der Zeit, bis das Coronavirus auch in Nordkorea auftritt.
Die staatliche Nachrichtenagentur beschreibt das als einen schweren nationalen Notfall. Ist das Land nicht auf diese Pandemie vorbereitet?
Nein, ganz und gar nicht. Das Politbüro hat die Alarmglocken zu Recht geläutet. Praktisch kein Nordkoreaner ist geimpft, und viele Menschen sind schlecht ernährt und daher krankheitsanfällig. Die medizinische Versorgung ist miserabel. Es gibt kaum Intensivbetten, kaum Medikamente, kaum funktionierende Geräte, vor allem ausserhalb der Hauptstadt Pjöngjang. Wenn sich das Virus jetzt ungebremst in Nordkorea verbreitet, dann wird das sehr viele Menschenleben kosten.
Nordkorea hat auch Angebote von internationalen Organisationen für Impfstoffe bekommen. Was läuft da?
Nordkorea ist neben Eritrea das einzige Land weltweit, das bisher keine Impfungen durchgeführt hat. Die Regierung hat das Angebot der internationalen Covax-Initiative, zwei Millionen Impfdosen kostenlos zu bekommen, abgelehnt. Der Hauptgrund dafür dürfte gewesen sein, dass Covax eine Transparenz bei der Verteilung und Durchführung fordert. Solche Einblicke will das Regime Aussenstehenden nicht geben.
Das Land ist sonst schon abgeschottet. Man ist sehr auf Isolation erpicht. Was soll bei einem Lockdown noch dazukommen?
Das Politbüro hat beschlossen, dass sich alle Städte und Bezirke im Land gründlich abriegeln sollen. Die Frage ist, wie hart diese Lockdowns sein können. Die Behörden in Nordkorea wären sicher damit überfordert, die 26 Millionen Einwohner mit Lebensmitteln zu versorgen. Das Politbüro hat auch beschlossen, dass die Produktion weitergehen soll. Nur soll sich jede Produktionseinheit selbst isolieren. Das könnte heissen, dass die Arbeiter in ihren Fabriken bleiben und die Bauern weiter auf die Felder fahren. Schliesslich hat der Führer Kim Jong-un vor kurzem schon vor Versorgungsproblemen gewarnt.
Sollte man diesen Ausbruch nicht bald stoppen können, droht sicherlich auch eine Führungskrise.
Was heisst das für das Regime und den «lieben Führer» in Pjöngjang?
Sollte man diesen Ausbruch nicht bald stoppen können, ist eine Wirtschaftskrise kaum zu vermeiden, und es droht sicherlich auch eine Führungskrise. Das vor allem, wenn die Krankheit die Partei- und Militärkader trifft, die in Pjöngjang leben und die das Regime unterstützen. Bis jetzt hat sich Führer Kim gerühmt, er habe die Pandemie unter Kontrolle. Nun heisst es in den Staatsmedien schon, die Zuständigen hätten nachlässig, unverantwortlich und inkompetent gehandelt.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.