Obwohl die Anzahl Infizierter steigt, sind in Südafrika einige Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus gelockert worden. Unter anderem wurden einige Schulen geöffnet und Teile der Wirtschaft wieder hochgefahren. Kirchenbesuche sind wieder möglich und es darf wieder Alkohol verkauft werden. Die freie Journalistin Leonie March war selbst seit Ende März vom strengen Lockdown betroffen und versteht den Drang nach Öffnung.
SRF News: Wie haben die Südafrikaner auf die Lockerungen reagiert?
Leonie March: Sie wurden sehnlichst erwartet. Es herrschte so eine Art Feierstimmung. Es war spürbar mehr los auf den Strassen, auch wenn es nicht wirklich voll war. Die Leute tragen Masken und halten Abstand. Ich habe wieder mehr Menschen an Minibus-Haltestellen gesehen, mehr Autos sind unterwegs. Acht Millionen Südafrikaner machen sich wieder auf den Weg zur Arbeit. Auffällig sind auch die langen Warteschlangen vor den Läden, in denen Alkohol verkauft wird. Dies war in den letzten zwei Monaten verboten.
Die meisten Schulen sind entgegen der ursprünglichen Ankündigung weiterhin geschlossen.
Aber es bestehen auch Ängste, weil der Höhepunkt der Infektionswelle noch bevorsteht. Viele Kirchen werden trotz allem geschlossen bleiben, obwohl sie für maximal 50 Gläubige wieder öffnen dürfen. Und die meisten Schulen sind auch entgegen der ursprünglichen Ankündigung weiterhin geschlossen.
Staatspräsident Cyril Ramaphosa warnte letzte Woche, das Schlimmste stünde noch bevor. Nun werden Massnahmen gelockert. Ein Widerspruch?
Nein, das würde ich nicht sagen. Südafrika konnte diesen harten Lockdown mit Blick auf die soziale und wirtschaftliche Lage einfach nicht länger durchhalten. Wir waren hier zwei Monate komplett zum Hausarrest verbannt. Das waren viel schärfere Massnahmen als in vielen anderen Ländern der Welt.
Wir waren hier zwei Monate komplett zum Hausarrest verbannt.
Das Ziel des Lockdowns war es, einerseits zu vermeiden, dass die Infektionszahlen explodieren, und zum anderen, das Gesundheitssystem so vorzubereiten, dass es auf steigende Zahlen reagieren kann. Es wurde intensiv getestet, in einem grösseren Umfang als auf dem Rest des Kontinents. Südafrika hat die Zeit genutzt, um sich auf den unvermeidlichen Höhepunkt der Infektion vorzubereiten, der jetzt noch bevorsteht.
Ist das Gesundheitssystem denn jetzt besser vorbereitet?
Es ist besser vorbereitet als zuvor, wenn auch nicht vergleichbar mit Ländern wie zum Beispiel der Schweiz. Es wurden viele Feldhospitäler gebaut, es wurden Quarantänestationen eingerichtet. Die Zahl der Intensivbetten und der Beatmungsgeräte wurde aufgestockt. Aber gleichzeitig gibt es einen erheblichen Rückstau bei den Testresultaten, weil die Labors überlastet sind. Es gibt einen Mangel an Testkits. Das bereitet Experten erhebliche Sorgen. Allen ist klar, dass die schwere Phase dieser Epidemie noch bevorsteht.
Wird das ein schwerer Test für die Gesellschaft?
Ja, aber viele haben einfach keine Wahl, wenn sie zwei Monate nichts verdient haben. Vielleicht haben sie sogar staatliche Hilfe beantragt, diese aber noch nicht erhalten. Das ist hier derzeit sehr oft der Fall.
Die Menschen haben nicht einmal genug Geld, um sich zu ernähren.
Unter dem Strich rechnet man damit, dass zwischen 700'000 und fast 1.8 Millionen Arbeitsplätze im Zuge der Coronakrise verloren gehen. Das ist massiv bei einer Arbeitslosigkeit, die schon davor bei fast 30 Prozent lag. Für die Ärmsten im Land bedeutet das, dass sie noch ärmer werden. Es gibt dort, wo es Lebensmittelhilfe gibt, sehr lange Warteschlangen. Das zeigt, dass die Menschen nicht einmal genug Geld haben, um sich zu ernähren.
Das Gespräch führte Claudia Weber.