Was ist los in Iran? In Iran scheint die Corona-Pandemie ausser Kontrolle zu geraten. Gemäss Angaben des Gesundheitsministeriums hat das Land mit 453 Toten die höchste Opferzahl innerhalb eines Tages im laufenden Jahr registriert. Gleichzeitig wurden über 24'000 Neuinfektionen gemeldet.
Wie wirkt sich das aus? Die Zuspitzung der Lage zeigt sich unter anderem auf den Friedhöfen. So kommen die Angestellten des Teheraner Zentralfriedhofs Behesht Zahra, 40 Kilometer südlich der Stadt – der grösste Friedhof Irans und zweitgrösster der Welt – nicht mehr nach mit dem Gräberausheben. Grösser ist nur der Friedhof Wadi al-Salam in Irak.
Die Leichenwäscher arbeiten in drei Schichten und kommen kaum noch nach.
Natalie Amiri, Iran-Korrespondentin der ARD, war selbst dutzende Male auf dem Friedhof. «Das Gelände ist 424 Hektar gross, dort stehen die Autos der Angehörigen Schlange und schwarze Leichensäcke türmen sich. Die Leichenwäscher arbeiten in drei Schichten und kommen kaum noch nach.»
Wie konnte es dazu kommen? Es ist schon die vierte Covid-19-Welle in Iran. Schon Ende 2019 soll es erste Corona-Infizierte gegeben haben. Dies, weil das Land enge Geschäftsbeziehungen zu China habe, so Amiri. Die Regierung habe das Ausmass allerdings zunächst verschleiert. «Die Menschen sollten zur Parlamentswahl kommen, die im Februar 2020 stattgefunden hat.» Danach stieg die Zahl der Infizierten ein erstes Mal exponentiell an.
Welche Rolle spielt die Religion? Nach islamischer Sitte müssen Tote innerhalb von 24 Stunden beerdigt werden. Das sei derzeit kaum noch möglich. «So viele Tote an einem Tag hatten wir in den letzten 50 Jahren nicht», sagte der Friedhofsleiter in einem Interview. Seiner Aussage zufolge gab es selbst in der Zeit des Krieges gegen den Irak weniger Tote pro Tag.
Bei der Trauerzeremonie dabei zu sein, sei sehr wichtig in Iran, erklärt Amiri. «Man möchte den Angehörigen noch einmal Respekt erweisen.» So stelle die Verbreitung des Virus selbst auf dem Friedhof noch eine Gefahr dar. Hinzu komme die iranische Geistlichkeit, die sage: «Gott steht über allem, kommt ruhig weiter in die Moscheen und zu den religiösen Feierlichkeiten.»
Hat der Ramadan einen Einfluss? Aktuell wird der muslimische Fastenmonat gefeiert. Die Menschen verbringen viel Zeit mit ihren Familien und in Moscheen. Das könnte das Problem noch weiter verschärfen, glaubt Amiri. «Begonnen hat es schon Ende März, als das persische Neujahrsfest Nouruz stattfand. Zwei Wochen lang besuchten sich Familien gegenseitig.»
In den Schlangen steht man dicht an dicht. Und da steigt natürlich die Gefahr, sich anzustecken.
Vor zehn Tagen kam der Ramadan hinzu. «Beim Fastenbrechen am Abend gibt es immer auch die Gelegenheit, hinauszugehen und Essen zu bekommen.» Vor allem an arme Menschen werde Essen verteilt. «In den Essensschlangen steht man dann dicht an dicht, und da steigt natürlich die Gefahr, sich mit Covid-19 anzustecken.»
Gibt es Kritik an der Politik? Die Regierung scheut sich davor, harte Massnahmen zu ergreifen. Denn es gebe einfach viel zu viele Menschen, die auf ihre tägliche Arbeit angewiesen sind, erklärt Amiri. «Der Staat unterstützt sie nicht finanziell. Sie sind deshalb auf ihren Tageserlös angewiesen.» Die Menschen seien deshalb mehr und mehr wütend auf das System.
Auch die US-Sanktionen spielten eine Rolle in der Pandemie: «Eigentlich sind humanitäre Güter nicht davon betroffen, aber da Geldtransfers mit Iran nicht stattfinden können, können die Güter nicht bezahlt werden.» So würden die Sanktionen die Einfuhr von medizinischem Equipment indirekt verhindern.