Darum steht Brasiliens Präsident unter Druck: In einem Monat ist Jair Bolsonaros Popularität so stark gesunken wie noch nie. Dies zeigt die neueste Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha. Seine Beliebtheitswerte seien damit wieder auf normalem Niveau, erklärt David Karasek, SRF-Südamerika-Korrespondent, derzeit Pandemie-bedingt in der Schweiz. «Der Anteil der Befragten mit einer positiven Meinung fiel von 37 Prozent im Dezember auf 31 Prozent. Aber 37 Prozent war ein sehr hoher Wert.»
Das sind die Gründe für die sinkenden Umfragewerte: Letzten Frühling startete die Regierung mit einem Corona-Hilfsprogramm, das 120 Franken pro Monat für die Allerärmsten vorsah. «Manche Leute hatten damit so viel Geld wie noch nie», so Karasek. Eine Folge davon war, dass die Beliebtheit Bolsonaros auf diese aussergewöhnlich hohen 37 Prozent anstieg. Seit Anfang dieses Jahres gibt es aber keine Corona-Hilfsgelder mehr. «Und nun sinkt die Beliebtheit wieder auf rund 30 Prozent. Aber das ist Normalzustand für Bolsonaro.»
So reagieren die Kritikerinnen und Kritiker: In über 20 Städten kam es in den letzten Wochen zu Demonstrationen gegen Bolsonaros Corona-Politik. Linke Gruppen und Gewerkschaften haben zu Protesten aufgerufen. «Das sind Bolsonaros klassische Gegner», sagt der Korrespondent. «Doch das kümmert ihn nicht. Das ist sozusagen einkalkuliert.» Die Menge sei überschaubar und habe nicht die nötige Masse, um Druck auszuüben.
Was man über das Gesundheitssystem wissen muss: Brasilien stellt allen Bürgerinnen und Bürgern eine kostenlose Krankenversorgung über das öffentliche Gesundheitssystem zur Verfügung. Auf dieses System seien die Brasilianer stolz: «Aber wenn es nicht mehr funktioniert, wenn die Leute keinen Sauerstoff mehr haben, wenn sie in den Spitälern ersticken, dann ist das ein Albtraum und für die Brasilianer unverständlich», so Karasek.
Deshalb könnte Bolsonaro sein Amt verlieren: Es gibt über 50 Amtsenthebungsanträge gegen den Präsidenten. Diese werden aber erst zur Bedrohung, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament ändern. «Solange er aber ausreichend Unterstützung hat von der bürgerlichen Mitte, von den konservativen Mitte-Rechts-Parteien, sitzt er fest im Sattel – trotz Protesten, trotz Impfchaos, trotz Unverständnis über die Situation in den Spitälern in Manaus, wo die Lage besonders schlimm ist.» Eine Amtsenthebung ist momentan unwahrscheinlich.
Das wäre für eine Amtsenthebung nötig: Bolsonaros Regierung könnte die Kontrolle im Kongress verlieren. Kommenden Montag werden neue Präsidentinnen oder Präsidenten für die beiden Parlamentskammern gewählt. Der Präsident des Abgeordnetenhauses hat als einziger das Recht, ein Impeachment anzustossen. Die beiden Kandidaten sind ein Bolsonaro-Freund und ein Mitte-Politiker, der versprochen hat, bestehende Amtsenthebung Anträge Zitat sorgfältig zu analysieren. «Bolsonaro kommt also unter Druck, je nachdem, wer die Kontrolle über das Abgeordnetenhaus bekommt», so Karasek.