Während in den reichen Ländern seit gut drei Monaten geimpft wird, ist die weltweite Verteilung von Impfstoff extrem ungleich. SRF-Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel über die Probleme, die das mit sich bringt.
SRF News: Warum ist der Covid-Impfstoff weltweit so ungerecht verteilt?
Katrin Zöfel: Bislang sind 86 Prozent aller Corona-Impfungen in reichen Ländern verabreicht worden, bloss ein Prozent in den ärmsten. Um das zu verstehen, muss man ein Jahr zurückblicken: Zu Beginn der Pandemie war völlig unklar, welcher Impfstoff funktionieren würde. Deshalb bestellten die reichen Länder gleich mehrere Impfstoffe – in der Hoffnung, dass einer davon dann funktionieren würde.
Das Verhalten der reichen Länder hat den Impfstoff zusätzlich verknappt.
Ärmere Länder vermochten das nicht oder nicht so gut. Also hatten sie das Nachsehen. Zudem hat dieses Verhalten der reichen Länder den Impfstoff noch zusätzlich verknappt.
Die EU und die WHO sagten im Mai vor einem Jahr, sie wollten eine gerechte Verteilung. Gilt das nicht mehr?
De facto gilt das nicht mehr, aber die Begründung von damals, die gilt noch: Wirklich sicher vor Corona ist jeder Einzelne erst, wenn alle sicher sind. Das sehen wir inzwischen ja auch: Die Corona-Varianten haben viel Schlagzeilen gemacht und je länger die Pandemie dauert, desto mehr Varianten wird es geben. Das heisst, solange es irgendwo auf der Welt noch nennenswerte Zahlen von Infektionen gibt, entstehen neue Varianten.
Solange es Infektionen gibt, so lange wird es neue Varianten der Viren geben.
Welche Varianten das sein werden, ist kaum vorhersagbar. Aber es können solche dabei sein, die den Immunschutz durch Impfungen immer wieder aushebeln. Anders gesagt: Solange die Pandemie nicht überall beendet ist, kann das Ganze mit immer wieder neuen Varianten auch hierher zurückschwappen, selbst wenn das Impfen mal abgeschlossen ist. Davon abgesehen verstärkt die globale Ungleichheit sich momentan durch diese ungerechte Impfstoffverteilung und verschärft Probleme, die schon da waren und die wir alle schon lange kennen.
Warum hat sich diese Idee einer fairen, koordinierten und weltweiten Verteilung nicht durchgesetzt?
Der Druck auf jede einzelne Regierung, Impfstoffe zu sichern, war und ist hoch. Wer verzichtet freiwillig auf Impfstoffe, um anderen Ländern zu helfen? Die EU denkt sogar laut über einen Exportstopp für Impfstoffe nach und Indien hat schon einen Exportstopp erlassen. Das Land ist ein wirklich grosser Produzent und kämpft momentan mit stark ansteigenden Fallzahlen.
Wie könnte der Impfstoff besser für alle verfügbar gemacht werden?
Eine Möglichkeit wäre, den Patentschutz aufzuweichen: Indien und Südafrika haben schon im Februar von der WTO gefordert, den Patentschutz für Impfstoffe zeitweise aufzuheben. Das sah zuerst chancenlos aus, aber inzwischen ist es wohl mehr als nur Rhetorik. Auch in den USA wird darüber nachgedacht, diese Idee vielleicht in die Tat umzusetzen.
Eine Möglichkeit wäre, den Patentschutz aufzuheben.
Ein weiterer Weg sind Lizenzen, um Produktionsreserven in Ländern zu aktivieren, die bisher nicht an der Produktion beteiligt waren: Also dort auf Ressourcen zurückzugreifen, wo sie bisher noch nicht angezapft waren.
Was ist aus der Idee der WHO geworden, auch für ärmere Länder Impfstoffe zu besorgen oder zu reservieren?
Die WHO versucht es und hat ihre Ideen in der sogenannten Covax-Initiative gebündelt. So sollen 92 ärmere Länder besser zu Impfstoffen kommen. Covax soll mit Geld aus reichen Ländern Impfstoffe kaufen und dann verteilen. Geld ist zwar da, aber der Impfstoff ist viel zu knapp. Da nützt auch das Geld wenig.
Das Gespräch führte Marlen Oehler
De facto gilt das nicht mehr, aber die Begründung von damals, die gilt noch: