Die grösste Impfaktion in der Geschichte der Menschheit ist angelaufen. Bereits wurden Verträge für schätzungsweise 8.5 Milliarden Impfdosen gegen das Coronavirus abgeschlossen. Genug, um immerhin der Hälfte der Weltbevölkerung die üblichen zwei Dosen zu verabreichen.
Doch wer bekommt welchen Impfstoff – und wann?
Nach dem Wettrennen um die Entwicklung hat das Wettrennen um die Verteilung der Präparate begonnen. Es geht um die Gesundheit, um viel Geld – aber auch um globale Machtpolitik.
Denn die Verabreichung eines bestimmten Impfstoffs schaffe in einem Land «Verbundenheiten und neue Erinnerungen», wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel diese Woche am virtuellen Weltwirtschaftsforum (WEF) sagte. Mit anderen Worten: Wer Impfstoffe exportiert (und finanziert), schafft sich viel Goodwill.
Chinesische «Impfachse»
So frohlockte der chinesische Staatschef Xi Jinping – ebenfalls am WEF –, seine Volksrepublik habe in der Coronakrise mehr als 150 Staaten Hilfe geleistet. Tatsächlich setzen zum Beispiel die Türkei, Singapur oder Indonesien vor allem auf den chinesischen Impfstoff Sinovac. Neben dem gigantischen chinesischen Infrastrukturprojekt «Neue Seidenstrasse» entsteht in Eurasien gerade eine chinesische «Impfachse».
Russland exportiert seinen Impfstoff Sputnik V in andere slawisch und sozialistisch geprägte Länder wie Weissrussland, Serbien, Bolivien oder auch Venezuela. Der Name des Präparats ist kaum Zufall: «Sputnik» hiess auch der erste Satellit der Menschheitsgeschichte, den die Sowjetunion 1957 ins All schoss. Die USA und ihre Verbündeten standen in der Folge unter dem «Sputnikschock», sie fürchteten den technologischen Wettstreit gegen die Sowjetunion zu verlieren.
Ein fruchtbares Feld für Goodwill
Den nun vom Westen gesäten Zweifeln an der Wirksamkeit des Sputnik-V-Impfstoffs begegnet Moskau mit einer regelrechten Propagandaoffensive: Westliche Diplomaten, Geschäftsleute und Journalisten hätten sich erfolgreich mit Sputnik V impfen lassen. Auch zwei Schweizer in Moskau – Ex-Botschafter Yves Rossier und SRF-Korrespondent David Nauer – wurden als Beispiele angeführt. Russischer Impfstoff, so die Botschaft, ist gut für die ganze Welt.
Auch die Präparate westlicher Pharmaunternehmen wie Pfizer/Biontech, Moderna oder Astra-Zeneca sollen armen Länder zugutekommen. Zum Beispiel mithilfe der internationalen Impforganisation Covax. Diese war von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegründet worden und soll bis Ende Jahr 1.3 Milliarden Impfdosen für Staaten bereitstellen, die sich sonst keine Impfstoffe leisten könnten.
Die EU hat Covax bislang 500 Millionen Euro in Aussicht gestellt, von der privaten Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung kommen 156 Millionen Dollar. Covax beziffert den zusätzlichen Finanzbedarf für 2021 auf insgesamt 6.8 Milliarden Dollar. Ein fruchtbares Feld für Staaten, die Goodwill säen wollen.
Westen hilft zögerlich – China ist rasch zur Stelle
Zumal die heutige Weltgesundheitskrise an die Weltfinanzkrise erinnert, die vor zehn Jahren viele Staaten in den wirtschaftlichen Abgrund riss. Die reichen Länder des Westens halfen zögerlich, China dagegen war mit Investitionen rasch zur Stelle, pumpte Milliarden in die Energie- und Verkehrsinfrastruktur von Krisenländern – und sicherte sich so Macht und Einfluss, auch in Europa.
Oder um es in den Worten Merkels auszudrücken: Damals wie heute bietet eine Krise Gelegenheit, «Verbundenheiten und neue Erinnerungen» zu schaffen.