Jeden Tag sterben Menschen im Meer zwischen Nordafrika und Italien. Sie ertrinken oder erliegen der Erschöpfung. Hinter den reinen Zahlen stehen Schicksale. So berichten die italienischen Medien derzeit ausführlich über ein Gummiboot, das viele Tage im Meer trieb – mit über 80 Personen an Bord. Jetzt weiss man: Die meisten der Flüchtlinge und Migranten an Bord sind verhungert oder verdurstet.
Das Schlauchboot war vor über einer Woche in der libyschen Hafenstadt Zawija in See gestochen. Schon nach kurzer Zeit stieg der Motor aus und das Boot setzte einen Rettungsruf ab. Den aber niemand hörte. An Bord des Schlauchbootes waren etwa 85 Leute, auch kleine Kinder und Frauen.
Schockierende Schilderungen
Weil es auf dem Boot viel zu wenig Wasser und Essen gab, starben die ersten Menschen, sagen Überlebende. Mütter hätten ihre eigenen Kinder dem Meer übergeben müssen. Nur per Zufall entdeckte schliesslich das Schiff «Ocean Viking» der Rettungsorganisation SOS Méditerranée das Boot. Von den 85 Menschen an Bord waren 60 gestorben. «Und die 25 Überlebenden sind sehr schwach», sagt Valeria Taurino, die Leiterin von SOS Mediterranée Italien gegenüber der RAI.
Einen Teil der Überlebenden müsse man noch immer beatmen und mit Infusionen versorgen. Wer überlebt hat, erzählt von tagelangem Hunger und Durst. Und von den Verätzungen an Füssen und Beinen. Schuld daran ist Benzin, das vom Motor aus ins Boot gelaufen ist. Taurino berichtet vom tragischen Schicksal eines geretteten Vaters. Er sei mit seiner Frau und seinem erst eineinhalb-jährigen Kind aufgebrochen und habe beide verloren.
Das Flüchtlingshilfswerk der UNO, das UNHCR, veröffentlich laufend die Zahl der Ertrunkenen und Vermissten. Im letzten Jahr starben zwischen Afrika und Italien 1900 Menschen. Das heisst, man zählt täglich über fünf Tote und Vermisste. SOS Mediterranée und andere Hilfsorganisationen kritisieren, dass Italien ihre Arbeit stark behindere. Tatsächlich versucht Rom mit zahlreichen Auflagen die Rettungsschiffe der Hilfsorganisationen am Auslaufen zu hindern.
Profitgier und politisches Kalkül
Und: Die italienische Küstenwache konzentriert sich schon seit Jahren auf die eigenen Hoheitsgewässer. Während sie früher auch in libysche oder tunesische Gewässer fuhr, um dort Leben zu retten. Gleichzeitig schrecken die Schlepper in Nordafrika nicht davor zurück, völlig überladene und schlecht ausgerüstete Schiffe oder eben Gummiboote Richtung Italien zu schicken. Aus purer Profitgier.
Regierungschefin Giorgia Meloni hatte versprochen, die Zahl der ankommenden Flüchtlinge und Migranten drastisch zu reduzieren. Doch im letzten Jahr kamen hier so viele an wie schon seit langem nicht mehr. Auch darum versuchen die Regierungen Italiens schon seit einiger Zeit, den Aktionsradius von Rettungsschiffen einzuschränken. Und nordafrikanische Länder davon zu überzeugen, Flüchtende möglichst zurückzuhalten.