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Demokratieskepsis? Nicht in der Schweiz
Aus SRF 4 News aktuell vom 29.01.2020.
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Demokratie-Studie «Volksinitiativen haben eine andere Wirkung als Gelbwesten-Demos»

In den entwickelten Ländern sind so viele Menschen unzufrieden mit der Demokratie wie noch nie seit 25 Jahren. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie der Universität Cambridge. In der Untersuchung wurden rund vier Millionen Menschen in 154 Ländern befragt. Und sie zeigt: 58 Prozent der befragten sind mit dem demokratischen System nicht zufrieden. Politologe Marc Bühlmann über die Gründe und die Sonderrolle der Schweiz.

Marc Bühlmann

Politologe

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Marc Bühlmann ist Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern und verantwortlich für «Année politique Suisse», eine Online-Plattform zur Schweizer Politik. Sein Schwerpunkt ist die Demokratieforschung.

SRF News: Gibt es allgemeine Gründe für die Demokratieskepsis?

Marc Bühlmann: Die Unzufriedenheit lässt sich mit einem stärkeren Kritikverständnis, mit Individualisierung und mit zunehmenden individuellen Präferenzen erklären.

Die Menschen sind kritischer. Gleichzeitig nennen Sie hier das Stichwort der Individualisierung, das hat auf den ersten Blick nicht direkt mit der Demokratie zu tun. Oder doch?

Individualisierung bedeutet auch, dass ganz viele Menschen unterschiedliche Bedürfnisse entwickeln dürfen, insbesondere in einer Demokratie. Dass es eine Ausdifferenzierung von ganz vielen Präferenzen gibt, die man teilweise nur befriedigen kann, wenn der Staat bestimmte Gesetze erlässt oder der Staat sich so verhält, wie man das gerne hätte.

Die kritische Haltung hat auch mit zunehmender Bildung zu tun.

Diese zahlreichen Bedürfnisse und Präferenzen kann der Staat nicht alle befriedigen. Die Frage ist, ob man überhaupt Präferenzen befriedigen kann. Weil diese Bedürfnisbefriedigung nicht stattfindet, kommt es eben zu Unzufriedenheit.

Verstärkt das die kritische Haltung gegenüber dem Staat?

Die kritische Haltung hat auch mit zunehmender Bildung zu tun. Menschen, die kritisch sind, die nicht einfach zu allem Ja und Amen sagen, sondern durchaus auch mal sagen, dass sie mit etwas nicht einverstanden sind. Das ist eine positive Entwicklung in einer Demokratie.

Wie ist das Phänomen der neu auftretenden Parteien zu erklären?

Wenn ich das Gefühl habe, dass die politische Elite meine Bedürfnisse nicht mehr befriedigt, ist das in einer repräsentativen Demokratie die einzige Möglichkeit, die politische Elite auszutauschen.

Ich kann mit einem Referendum dieser vermeintlichen politischen Elite auch einmal auf die Finger hauen und sagen, dass ich damit nicht einverstanden bin.

Wenn jemand kommt und sagt, dass man nicht in dem alten Fahrwasser fahren möchte, ist das ein ziemlicher Magnet. Solche Parteien, egal was sie versprechen und wie sie sich inhaltlich verkaufen, sind schliesslich im Vorteil.

In der Studie werden einige Länder wie Dänemark oder die Schweiz als Ausnahme genannt. Dort sei die Zustimmung laut der Studie so hoch wie noch nie. Wieso stellt die Schweiz eine Ausnahme dar?

Weil sie keine reine repräsentative Demokratie ist. Wir haben Elemente der direkten Demokratie: Ich kann mit einem Referendum dieser vermeintlichen politischen Elite auch einmal auf die Finger hauen und sagen, dass ich damit nicht einverstanden bin. Ich kann aber auch mit der Volksinitiative meine Präferenzen unmittelbar ins System einspeisen, und zwar so, dass das System mit dieser Idee umgehen muss. Wenn eine Schweizer Volksinitiative zustande kommt, entfaltet sie eine ganz andere Wirkung als etwa eine Demonstration in Frankreich der Gelbwesten oder der Pegida in Deutschland.

Wann kann eine Demokratieskepsis gefährlich werden?

Sie wird dann gefährlich, wenn diese Skepsis antidemokratisches Potenzial entfaltet. Wenn die unzufriedenen Leute nicht mehr daran glauben, dass sie auf demokratische Art und Weise Veränderungen herbeiführen können. Ich gehe aber davon aus, dass aufgrund dieser Studie die Mehrzahl der unzufriedenen Bürger nach wie vor kritische Bürger mit demokratischem Potenzial sind.

Das Gespräch führte Janis Fahrländer.

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