Das Wichtigste in Kürze
- Zwei Russen wird Verabredung zum Mord sowie der Besitz und Gebrauch des Nervenkampfstoffs Nowitschok vorgeworfen, teilt die britische Anti-Terror-Polizei mit.
- Grossbritannien beantragt deshalb einen europäischen Haftbefehl.
- Premierministerin Theresa May erklärt zum Anschlag: «Er wurde nahezu sicher auf hoher russischer Staatsebene genehmigt.»
- Das russische Aussenministerium weist alle Vorwürfe zurück.
Ein halbes Jahr nach dem Attentat auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julija teilt die britische Polizei mit, dass sie nach zwei Russen fandet. «Wir haben jetzt ausreichend Beweise, um Anklagen im Zusammenhang mit dem Angriff auf Sergej und Julija Skripal zu erheben», sagte ein Polizeisprecher. Die Verdächtigen seien wahrscheinlich unter falschen Namen eingereist und etwa 40 Jahre alt. Scotland Yard veröffentlichte Fahndungsfotos der Männer und bat die Bevölkerung um Hinweise.
Grossbritannien beantragte europäische Haftbefehle, stellte aber keine Auslieferungsanträge an Moskau. Die russische Verfassung verbietet die Auslieferung von eigenen Staatsangehörigen.
Mitglieder des Militärgeheimdienstes
Premierministerin Theresa May machte den russischen Militärgeheimdienst für den Anschlag verantwortlich. Die beiden mit Haftbefehl gesuchten Verdächtigen in dem Fall seien Mitglieder des russischen Militärgeheimdienstes GRU und hätten höchstwahrscheinlich im Auftrag der russischen Regierung gehandelt, sagte May im britischen Parlament.
Beim Anschlag handle es sich nicht um eine auf eigene Faust geplante Tat von Kriminellen, sagte May: «Er wurde nahezu sicher auf hoher russischer Staatsebene genehmigt.»
Moskau weist Vorwürfe zurück
Das russische Aussenministerium wies alle Vorwürfe umgehend zurück. «Die in den Medien veröffentlichten Namen und Bilder sagen uns nichts», sagte Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa der Agentur Tass zufolge in Moskau. London solle nicht die Öffentlichkeit manipulieren, sondern bei der Aufklärung mit Russland kooperieren.
Die beiden Verdächtigen sind laut Polizei am 2. März nach Grossbritannien geflogen. Am Folgetag sollen sie die südenglische Stadt Salisbury ausgekundschaftet haben und am 4. März – dem Tag des Attentats – wieder abgereist sein. In ihrem Hotel in London seien winzige Spuren des verwendeten Nervengifts nachgewiesen worden.
Dreifache Mutter stirbt nach Kontakt mit dem Gift
Sergej Skripal und dessen Tochter Julija waren am 4. März in Salisbury bewusstlos auf einer Parkbank entdeckt worden. Beide entkamen nur knapp dem Tod. Sie leben heute an einem geheimen Ort. Der Fall löste eine schwere diplomatische Krise aus, deren Ende noch nicht abzusehen ist.
Später kam ein britisches Paar aus dem nahen Amesbury versehentlich mit dem Nervengift in Kontakt. Der Mann hatte ein Fläschchen gefunden, das er nach eigenen Angaben irrtümlich für einen Parfümflakon hielt und seiner Freundin schenkte. Sie soll sich mit der Flüssigkeit eingerieben haben – die dreifache Mutter starb acht Tage, nachdem sie ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
Attentat verursachte diplomatische Krise
Das Gift sei in beiden Fällen identisch. Das bestätigten Untersuchungen der Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW), teilte das britische Aussenministerium mit. London warf Moskau erneut vor, Drahtzieher des Anschlags zu sein.
Die Polizei betonte in einer Stellungnahme: «Wir haben keinen Zweifel, dass beide Vorfälle miteinander zusammenhängen, und sie bilden nun ein Ermittlungsverfahren.»
Infolge der Krise wiesen Grossbritannien, die USA und verbündete Staaten – auch Deutschland – mehr als 140 russische Diplomaten aus. Der Kreml reagierte mit ähnlichen Massnahmen. Die USA stellten zudem fest, dass Russland für den Einsatz von Massenvernichtungswaffen verantwortlich sei.
Nach drei Monaten weitere Sanktionen
Das löst laut Gesetz Sanktionen aus, wie es sie bislang nur gegen Nordkorea und Syrien gab. Seit Ende August ist eine erste Runde von Strafmassnahmen in Kraft. Sie sind zwar noch relativ milde, doch der Rubelkurs und die Aktien russischer Unternehmen gerieten unter Druck.
Schwerer wird eine zweite Sanktionsrunde nach drei Monaten die russische Wirtschaft treffen. Sie könnte das Auslandsgeschäft russischer Banken lahmlegen; die Fluggesellschaft Aeroflot könnte Landerechte in den USA verlieren. Moskau behält sich Gegenmassnahmen vor, doch viele Optionen hat der Kreml nicht: Zu klein ist der Handel, zu gross die Abhängigkeit von US-Technik, um die USA treffen zu können