SRF News: In Deutschland stellt sich die Frage, ob die Polizei in Clausnitz richtig gehandelt hat. Wie denken Sie darüber?
Heribert Prantl: Die Polizei hat nicht richtig reagiert. Sie muss die Flüchtlinge schützen, solche bedrohlichen Versammlungen in den Griff kriegen und sie kann es nicht dulden, dass Flüchtlinge in dieser widerlichen Weise bedroht werden. Es ist völlig intolerabel.
Ein jugendlicher Flüchtling wurde von der Polizei im Würgegriff abgeführt. Es heisst, er soll der wütenden Menge den Stinkefinger und ein «Kopf-ab-Zeichen» gezeigt haben.
Wenn wir davon ausgehen, dass die Flüchtlinge schon ein bis zwei Stunden im Bus ausharrten, kann man sich vorstellen, welche Angst dort herrschte. Wenn dann ein Jugendlicher sich falsch verhält, sollte dies kein Anlass für die Polizei sein, sich in einer Art und Weise zu betätigen, die nicht deeskalierend ist.
Der Staat Sachsen ist zu wenig präsent, schaut zu lange zu und duldet gewaltbereite Demonstrationen.
Eine Kritik zielt genau in diese Richtung: Opfer werden zu Tätern gemacht, wenn Asylbewerber beschimpft werden und dann noch angekündigt wird, gegen einzelne Flüchtlinge werde ermittelt, aber nicht gegen diese Bürger. Sehen Sie das auch so?
Ich sehe das auch so. Mich irritiert sehr, wie in Sachsen der Staat in solchen Fällen zurückgewichen ist. Wir haben seit einem Jahr die Demonstrationen von Pegida in Dresden; die Polizei hat dort immer wieder zugeschaut. Als Demonstranten einen Galgen mitführten und skandiert wurde, man solle gewisse Politiker an den Galgen hängen. Hier ist der Staat auch nicht eingeschritten. Anfang der Neunzigerjahre unter dem CDU-Innenminister Heinz Eggert wurde eine Sonderkommission gegen Rechtsextremismus gegründet, die sofort reagierte. Diese Sonderkommission ist aufgelöst worden. Seitdem gewinnen der Rechtsextremismus und der gewalttätige Rechtsradikalismus in Sachsen immer mehr Raum. Der Staat ist zu wenig präsent, schaut zu lange zu und duldet gewaltbereite Demonstrationen. Deswegen passiert so etwas wie die Veralltäglichung des Ungesetzlichen und Widerlichen. Das ist nicht weiter tolerabel.
In der Nacht zum Sonntag wurde im sächsischen Bautzen eine noch unbewohnte Flüchtlingsunterkunft angezündet. Davor standen offenbar Schaulustige, die Löscharbeiten behinderten, applaudierten und Schmähungen skandierten. Wäre so etwas auch beispielsweise in München denkbar?
In München würde die Polizei schneller eingreifen. Hier gibt es eine andere Polizeikultur. Ich denke, wer so etwas brüllt, muss mit strafrechtlichen Reaktionen rechnen. Diese Menschen sind auch empfänglich für Strafen und Reaktionen. Wenn nichts geschieht, nehmen sie sich immer mehr heraus. Deswegen plädiere ich für eine gute, kluge und schnelle staatliche Reaktion. Man kann diese Ausschreitungen nicht einfach so hinnehmen.
Die Bürgerinnen und Bürger lechzen nach mehr Klarheit.
Ist das fremdenfeindliche Gedankengut allmählich in ganz Deutschland salonfähig?
Glücklicherweise noch nicht. Aber es gibt Schwerpunkte des Fremdenhasses in Sachsen, aber auch in Nordrhein-Westfalen. Wir hatten im vergangenen Jahr fast 1000 Straftaten gegen Asylbewerber-, Flüchtlingsheime und Flüchtlinge selbst. Hier finden sich auffallend viele in Sachsen und in Nordrhein-Westfalen. Das hat schon etwas mit der Intensität zu tun, mit welcher Polizei und Sicherheitskräfte präsent sind und den Rabauken klar machen, wo die Linie überschritten wird.
Die Thematik Migranten, Flüchtlinge und Ausländerfeindlichkeit bleibt aber. Welche Antworten gibt es da?
Es ist nicht eine Antwort, sondern viele. Die Politik muss den Leuten kein Chaos vorführen, sondern sagen, was man für die Integration tun will und wie man die mit den grossen Flüchtlingszahlen zurechtkommen kann. Man muss den Leuten auch klar machen, wie die Polizei mit den Ausschreitungen umgeht. Die Bürgerinnen und Bürger lechzen nach mehr Klarheit.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.