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Netanjahus Deutschlandreise sorgt für Diskussionen
Aus Echo der Zeit vom 16.03.2023. Bild: EPA/FILIP SINGER
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Deutschland / Israel Benjamin Netanjahus heikler Besuch in Deutschland

Der Besuch von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu in Berlin wurde mit Spannung erwartet. Die Stimmung in Israel ist aufgrund der geplanten Justizreform sehr aufgeladen. So sehr, dass sie sogar nach Deutschland rüberschwappte. Gespannt wurde demnach auch die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet. Die Einschätzungen unserer Korrespondentinnen.

Simone Fatzer

Deutschland-Korrespondentin

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Simone Fatzer arbeitet seit 1998 für Radio SRF, unter anderem als Moderatorin der Sendung «Echo der Zeit» und als Dossierverantwortliche für Deutschland. Seit September 2021 ist sie Korrespondentin in Berlin.

Susanne Brunner

Leiterin Auslandredaktion Radio SRF

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Susanne Brunner war für SRF zwischen 2018 und 2022 als Korrespondentin im Nahen Osten tätig. Sie wuchs in Kanada, Schottland, Deutschland und in der Schweiz auf. In Ottawa studierte sie Journalismus. Bei Radio SRF war sie zuerst Redaktorin und Moderatorin bei SRF 3. Dann ging sie als Korrespondentin nach San Francisco und war nach ihrer Rückkehr Korrespondentin in der Westschweiz. Sie moderierte auch das «Tagesgespräch» von Radio SRF 1. Seit September 2022 ist sie Leiterin der Auslandredaktion von Radio SRF.

Hier finden Sie weitere Artikel von Susanne Brunner und Informationen zu ihrer Person.

SRF News: Gleich die Frage nach Deutschland: Was hat der Kanzler denn nun gesagt heute Nachmittag?

Simone Fatzer: Olaf Scholz hat von grosser Sorge gesprochen. Wörtlich sagte er: «Als demokratische Wertepartner und enge Freunde Israels verfolgen wir diese Debatte sehr aufmerksam, und – das will ich nicht verhehlen – mit grosser Sorge.» Israel solle eine liberale Demokratie bleiben. Das äusserte Scholz als Wunsch.

Die Justizreform erhitzt die Gemüter in Israel

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Seit bald zwei Monaten gehen in Israels Städten Hunderttausende auf die Strasse. «Demokratie oder Revolution», skandieren sie. «Anarchisten!», ruft Premier Benjamin Netanjahu zurück. Trotz immer grösserer Proteste: Der Premier will seine Justizreform rasch durchs Parlament bringen. Damit er mit seiner rechtsaussen, ultrareligiösen Koalition Gesetze machen kann, wie es ihm beliebt.

Das Höchste Gericht hätte nichts mehr zu sagen: Es würde ein politisch willfähriges Gremium. Und: Sollte dieses ein Gesetz trotzdem noch verbieten, könnte eine einfache Parlamentsmehrheit das Gericht überstimmen. Für die einen ein überfälliger Schritt, um arrogante Richter in die Schranken zu weisen. Für die anderen der Beginn einer Diktatur in Israel. Die beiden Lager sind so verfeindet, dass Präsident Isaac Herzog gestern vor einem Bürgerkrieg warnte.

 «Wer glaubt, es könne nicht bis zum Bürgerkrieg kommen, hat keine Ahnung», sagt er. Isaac Herzog präsentierte einen Kompromissvorschlag für die Justizreform – Netanjahu lehnte ihn umgehend ab. Am Nachmittag kam es zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen den zwei Lagern und den Sicherheitskräften.

Dann lobte er den Staatspräsidenten Isaac Herzog für seinen breiten Diskurs in der Gesellschaft und sagte, man wünsche sich, dass über den Vorschlag von Herzog bezüglich der Entmachtung der Richter noch nicht das letzte Wort gesprochen sei. Die deutsche Haltung ist unmissverständlich, aber in Worte gepackt, die nicht brüskieren. Gleichzeitig hat Scholz die gegenseitige Freundschaft betont und die immerwährende Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels.

Wie lässt sich das einordnen in das deutsch-israelische Verhältnis?

Es war nicht zu erwarten, dass Kanzler Scholz scharfe Kritik übt. Alles, was hier bilateral passiert, ist aufs Engste mit der schwierigen Geschichte dieser beiden Staaten verknüpft. Natürlich gibt es zunehmend Stimmen in Deutschland, die einen Schlussstrich unter die Nazivergangenheit ziehen und die ganzen Belastungen hinter sich lassen möchten. Aber das ist nicht die Haltung der Regierung. Die Sicherheit Israels ist Teil deutscher Staatsräson.

Israelische Justizreform schlägt in Berlin hohe Wellen

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In Berlin schlug das Thema hohe Wellen, als Justizminister Marco Buschmann im Februar als erstes deutsches Regierungsmitglied nach Israel reiste und dort den israelischen Justizminister traf. Ein Drahtseilakt sei es, umstritten, schlechtes Timing, hiess es. Den Besuch nannte Buschmann ein besonderes persönliches Anliegen. Er eröffnete eine Ausstellung.

Die umstrittene Justizreform kritisierte er indirekt. Man müsse breite Mehrheiten suchen, wenn man das Zusammenspiel der Verfassungsorgane verändern möchte. Und er verwies auf Deutschland, wo man für eine Änderung des Grundgesetzes stets auch die Opposition überzeugen müsse.

Laut dem «Spiegel» soll Aussenministerin Annalena Baerbock zuvor von Besuchen in Israel abgeraten haben. Sie selbst empfing einige Tage später ihren israelischen Amtskollegen. Dabei äusserte sie sich unüblich kritisch zur geplanten Justizreform. «Zu den Werten, die uns verbinden, gehört der Schutz rechtsstaatlicher Prinzipien. Wie die Unabhängigkeit der Justiz. Das war immer ein Aushängeschild Israels.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte, der von der Regierung geplante Umbau des Rechtsstaates bereite ihm Sorge. Für Spekulationen sorgte, dass der Deutschlandbesuch Netanjahus in Israel bereits angekündigt war, die Regierungssprecherin in Berlin aber noch nichts davon wusste.

Ob sich da wohl der israelische Regierungschef selbst eingeladen hatte? Der Verdacht machte die Runde, Netanjahu sei ein normaler Gast Deutschlands, liess die Regierung später verlauten, und Kanzler Scholz freue sich auf ihn.

Weiter scheint mir auch die Stimmung in der deutschen Gesellschaft wichtig. Einerseits wächst die Ablehnung gegenüber Israel, andererseits gibt es eine grosse Unsicherheit darüber, wo Kritik am Handeln der israelischen Regierung überhaupt legitim ist und wo Antisemitismus beginnt.

Das zeigt sich dann zum Beispiel darin, dass eine junge Frau aus Israel, die in Berlin wohnt, in der Wochenzeitung «Zeit» sagte, sie würde gerne gegen die Justizreform demonstrieren, fürchte aber, dass das dann von Deutschen als Protest gegen das Land Israel missverstanden würde. Es ist kompliziert.

Benjamin Netanjahu und Olaf Scholz
Legende: Die Rede vom deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz wurde auch in Israel verfolgt: Genger und Gegnerinnen der Justizreform hätten sich klarere Worte gewünscht. Keystone/KAY NIETFELD

Grosse Verunsicherung also in Deutschland. Frage an Auslandredaktorin Susanne Brunner, die für uns Israel beobachtet: Diese Verunsicherung – und der entsprechende Positionsbezug des deutschen Kanzlers heute Nachmittag –, wie kommt das in Israel an?

Susanne Brunner: Wer gegen Netanjahus Justizreform demonstriert, hätte sich sicher klarere Worte gewünscht. Gleichzeitig ist demonstrierenden Israelis klar: Niemand kann Israels Premier vorschreiben, was er zu tun hat, schon gar nicht ein deutscher Kanzler. Gegner und Gegnerinnen der Justizreform hätten sich gewünscht, dass Deutschland Netanjahu gar nicht empfangen hätte.

Über 1000 israelische Persönlichkeiten hatten dem deutschen Botschafter in Israel einen Brief übergeben mit der Bitte, Deutschland möge Netanjahu wieder ausladen. Sie wussten jedoch, wie unrealistisch ihre Forderung war. Und auch wenn kurz hingehört wurde, was Kanzler Scholz zu sagen hatte: Seine Worte gingen in den heftigen Protesten des heutigen Tages unter.

Diverse deutsche Politikerinnen und Politiker haben heute ihre Besorgnis über die geplante Justizreform in Israel geäussert. Inwiefern hat das Auswirkungen auf das Handeln der israelischen Regierung?

Diese Regierung hört nicht einmal auf den Präsidenten: Sie will keine Kompromisse. Sie ist überzeugt, dass ihre Mehrheit im Parlament ihr das uneingeschränkte Recht gibt, das zu tun, was sie will. Ohne Rücksicht auf Proteste oder auf die Sicherheitskräfte, die am Limit sind wegen ihrer Mehrfachbelastung, zu denen die Demonstrationen beitragen. Auch wirtschaftliche Verunsicherung ist dieser Regierung egal: Sie verspricht, all das stärke Israels Demokratie. Die Worte von Olaf Scholz gingen bei Netanjahu ins eine Ohr und gleich zum anderen wieder hinaus.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

Echo der Zeit, 16.03.2023, 18 Uhr ; 

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