Am vergangenen Wochenende sorgten Kampfpiloten in Israel für einen nationalen Eklat: Sie teilten ihrem Kommandanten mit, dass sie nicht mehr zum Training kommen würden, wenn die Regierung mit ihrer geplanten Justizreform weitermache. Die Piloten hatten allesamt in einer Eliteeinheit gedient und stehen als Reserve im Bereitschaftsdienst. Auch andere Einheiten meldeten eine Zunahme von angedrohter Dienstverweigerung. Premier Netanjahu schien die Streitkräfte des Landes gegen sich aufgebracht zu haben.
So dramatisch sei es nicht, sagt Avner Gvaryahu. Der ehemalige Fallschirmjäger wuchs in einer religiös-nationalistischen jüdischen Familie in Israel auf, leistete seinen obligatorischen Militärdienst in den besetzten Palästinensergebieten und ist heute Co-Direktor der israelischen Veteranen-Organisation «Breaking the Silence».
Die Organisation ist wegen ihrer Kritik an der israelischen Besatzung für viele ein rotes Tuch. Unbestritten ist jedoch: Sie kennt die Trends, wenn es um Militärdienstverweigerung geht. «Es gab in der israelischen Geschichte immer Dienstverweigerungs-Bewegungen,» relativiert Gvaryahu den Aufruhr rundum Elitepiloten und andere Soldatinnen, welche den Dienst verweigern oder damit drohen.
Gegen die militärische Besatzung
Eine kleine Gruppe von Linken verweigere den Dienst, weil sie gegen die militärische Besatzung in den Palästinensergebieten sei, sagt Anver Gvaryahu. Die Mehrheit der Linken stehe jedoch unerschütterlich für die Wehrpflicht ein. Auf der rechten Seite seien es die Ultraorthodoxen, die keinen Dienst leisteten.
Aber in der israelischen Gesellschaft sei Dienstverweigerung für die Mehrheit schlicht undenkbar. Daran änderten auch die aktuellen Proteste nichts. Zwar leiste rund die Hälfte der wehrpflichtigen israelischen Frauen und Männer keinen Dienst – aber Reservesoldatinnen und Kampfpiloten, welche jetzt mit Dienstverweigerung drohten, seien nur eine kleine Minderheit.
Die Ultraorthodoxen wollen keinen Militärdienst leisten. Das akzeptiert das Höchste Gericht nicht in jedem Fall. Deshalb unterstützen sie die Justizreform.
Trotzdem steht die Armee im Zentrum der Diskussionen über die Proteste gegen die Justizreform, weil die politische Situation so vertrackt sei, sagt Gvaryahu. «Die Ultraorthodoxen wollen keinen Militärdienst leisten. Das akzeptiert das Höchste Gericht nicht in jedem Fall. Und deshalb unterstützen sie diese rechts-aussen Regierung und ihre Justizreform. Gleichzeitig leisten immer mehr ultra-rechte Siedler Militärdienst.» Diese schockieren mit Gewalttaten immer wieder auch die israelische Gesellschaft.
Gvaryahu sagt weiter: «Gestandene Offiziere nannten die Ereignisse in Huwara, als Hunderte von Siedlern wahllos palästinensische Häuser anzündeten, ein Pogrom – und kritisierten Soldaten, welche nichts gegen die Gewalt unternahmen. Die altgedienten Soldatinnen und Soldaten finden: Solche Gewalt führe zu mehr Gefahr für sie und Israel,» sagt der ehemalige Fallschirmjäger.
Kampf um «die Seele des Landes»
«Ich stürmte als Soldat palästinensische Häuser und erinnere mich an die Angst in den Augen der jungen Palästinenser. Mir wurde klar: Das erzeugt mehr Gewalt gegen uns. Nun propagieren rassistische Minister in dieser Regierung offen Gewalt. Was sich abspielt, ist ein Kampf um die Seele unseres Landes», sagt Anver Gvaryahu.
Der landesweite Streit um die Justizreform erfasst auch die israelische Armee: Soldatinnen und Piloten drohen mit Dienstverweigerung wegen der geplanten Justizreform. Die rechts-aussen Regierung will nicht nur den Staat umkrempeln, einige Minister rufen auch zur Selbstjustiz gegen Palästinenser auf. In Israel wird jetzt wieder über die Besatzung geredet, weil solche Rhetorik auch israelische Soldaten gefährdet.