JJ hat gleich mehrere Diplome in der Tasche. Einen Architektur-Bachelor von seiner Universität in China und ein weiterführendes Masterdiplom, das er in Kanada erworben hat. Sogar ein wenig Arbeitserfahrung konnte der 28-Jährige in Kanada bereits sammeln. Aber als Corona das Leben in Nordamerika lahm legte, ging JJ zurück nach China. «Rückblickend haben mich die Covid-Lockdowns bewogen, nach China zurückzugehen», so JJ.
Anfang 2021 lief alles rund in China, sagt der Architekt. Und er hat recht. Damals schien in China die Pandemie bezwungen. Die Wirtschaft lief bestens. JJ fand schnell eine Stelle bei einer Immobilienfirma. Aber nach nur einem Monat kam der Evergrande-Skandal. Einer der grössten und vor allem der am höchsten verschuldete chinesische Immobilienkonzern geriet in finanzielle Nöte. Ein Signal für die ganze Branche.
Nun wird gespart
Oje, die Dinge laufen nicht gut für mich, dachte JJ. Der Immobilien-Sektor bescherte China in den letzten Jahrzehnten ein massives Wachstum und schuf zahlreiche Arbeitsplätze. Aber auf Pump. Verschiedene hochverschuldete Immobilienkonzerne gingen in den letzten Monaten bankrott oder stehen am Abgrund. Auch bei JJs Firma zogen dunkle Wolken auf. Überall wurde gespart. Aber vor allem: «Ich merkte, wie die Firma weniger Land kaufte. Das heisst, es gibt weniger Projekte. Zu wenige, um uns alle zu beschäftigen. Wir Angestellten rechneten mit einer Entlassungswelle. Vor allem wir Jungen und Neuen fürchteten um unsere Stelle.» Und tatsächlich erhielt JJ die Kündigung.
Szenenwechsel: In eine Branche, die in den letzten Jahre wie der Immobilien-Sektor für Wirtschafts- und Jobwachstum stand in China. Die Tech-Branche. Wang Qi ist Marketingverantwortlicher eines Software-Startups und sucht gerade neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Jedoch keine Uni-Abgänger. Die seien nicht geeignet. Leute von der Uni müsse man zuerst einmal ausbilden: «Man muss ihnen beibringen, wie sie Projekte leiten, wie sie kommunizieren müssen, wie Events organisieren. Tausende Stunden muss man in sie investieren, bis sie ihre Aufgaben erfüllen können.»
Uni-Abgänger bergen hohes Risiko
Eine Investition, die mit Unsicherheiten verbunden ist. «Unter Umständen investiert man ein Jahr in deren Ausbildung und dann verlassen Sie das Unternehmen. Das ist eine hohes Risiko», sagt Wan Qi.
Wang Qi stellt deshalb lieber erfahrene Arbeitskräfte ein. Und die gäbe es derzeit zuhauf. «Viele Unternehmen aus der Tech-Industrie entlassen derzeit Leute.» Nach Jahren des rasanten Wachstums und grossen Freiheiten zog die Regierung die Zügel an. Neue Regulierungen haben bei Techgiganten wie Alibaba, Tencent und Tiktok zu harten Einschnitten geführt.
Architekt JJ macht derweil ein weiteres Diplom: Eine Lehrerausbildung. Und seine Mutter hat ihm über Beziehungen einen neuen Job vermittelt. Auf der Administration einer Berufsschule. Gleichzeitig hat JJ einen Plan B. «Ich habe mich für eine Niederlassungsbewilligung in Kanada beworben. Die habe ich gerade erhalten. Jetzt bin ich am Werweissen, ob ich gehen soll.»
Weil der Ausblick auf eine Karriere in China derzeit schlecht ist, überlegt sich der 28-Jährige seine Heimat wieder zu verlassen. Diesmal für immer.