SRF News: Täuscht der Eindruck, oder wird die Region immer instabiler?
Roland Popp: Der Eindruck drängt sich gegenwärtig auf. Wobei ich vor einem Jahr wahrscheinlich noch gesagt hätte, dass es eine gewisse Tendenz zu einer Restabilisierung gebe. Dies aufgrund der Tatsache, dass der sogenannte Islamische Staat immer weiter zurückgedrängt worden war und absehbar war, dass er sich bald auflösen würde. Jetzt, durch diese neuen Konflikte – gerade durch die Eskalation zwischen Saudi-Arabien und Iran würde ich hingegen zustimmen: Ja, es gibt eine Tendenz hin zu einer Destabilisierung.
Die iranischen Revolutionsgarden beschuldigen offenbar Saudi-Arabien, hinter den Attacken in Teheran zu stecken. Ist das plausibel?
Gegenwärtig sieht es sehr stark danach aus, dass wirklich der IS verantwortlich ist. Er hat relativ schnell die Verantwortung übernommen und auch einen Videobeweis vorgelegt, dass es seine Kämpfer waren, die ins Mausoleum und ins Parlament in Teheran vorgedrungen waren.
Allerdings muss man verstehen, dass aus iranischer Sicht und gerade auch aus Sicht der sehr ideologischen Revolutionsgarden, jeder Anschlag von sunnitischen Dschihadisten letztlich auf Saudi-Arabien zurückzuführen ist. Also wenn es wirklich der IS gewesen sein sollte, wäre aus deren Sicht trotzdem Saudi-Arabien verantwortlich.
Aus saudischer Sicht ist der Iran ein noch viel grösserer Feind als die Dschihadisten.
Aber der IS ist doch auch der erklärte Feind der Saudis?
Das ist er, aber aus saudischer Sicht ist der Iran ein noch viel grösserer Feind. Diese Tendenz herrscht seit zehn Jahren, vielleicht sogar schon länger, seit der US-amerikanischen Invasion des Iraks. In der saudischen Wahrnehmung und in der Wahrnehmung vieler Sunniten in der Region ist es so, dass sich die Schiiten immer weiter ausbreiten, und dass der Iran immer mehr an Einfluss gewinnt. Der Iran ist geopolitischer Gegenspieler von Saudi-Arabien und aus dieser Perspektive eine weitaus grössere Bedrohung als die Dschihadisten.
Wer liegt im Kräftemessen zwischen den saudischen Sunniten und den Schiiten im Iran vorne?
Das ist schwer zu sagen. Wichtig ist von unserer Warte aus, dass wir dieses Spiel nicht mitspielen und nicht anfangen, den Nahen Osten und seine Konflikte entlang dieser Achse zwischen Sunniten-Schiiten zu interpretieren. Der Konfessionalismus zwischen den beiden Strömungen des Islam spielt eine Rolle, aber nicht die einzige. Er wird von Nationalstaaten instrumentalisiert, die so versuchen, auf ihre Art und Weise ihre Politik zu legitimieren beziehungsweise an Einfluss zu gewinnen.
Was man sagen kann in Bezug auf die jüngere Vergangenheit, ist, dass die Iraner ein bisschen oben auf schwimmen. Sie haben es geschafft, aus der weltpolitischen Isolation herauszubrechen. Durch das Atomabkommen mit den USA haben sie wieder eine wirtschaftliche Öffnung, es gibt die Hoffnung auf Investitionen aus dem Ausland, man kann wieder Öl exportieren, das heisst, man verfügt wieder über mehr finanzielle Mittel.
Das saudische Vorgehen gegen Katar ist durch diesen Blankoscheck Trumps motiviert worden.
Ist die US-Regierung unter Donald Trump nicht gerade dabei, Stellung auf Seiten Saudi-Arabiens zu beziehen?
Exakt. Das ist nun der grosse Wendepunkt. Was in der letzten Woche passiert ist, kann ursächlich auf Trumps Reise nach Saudi-Arabien zurückgeführt werden. Er hat dort die traditionelle aussenpolitische Haltung der USA, zu versuchen, auf Stabilität hinzuwirken, über Bord geworfen. Bei aller bisherigen Politik zugunsten Israels, zugunsten Saudi-Arabiens hatte man von Seiten der USA auch immer darauf geachtet, dass es nicht zu einer Destabilisierung kommt.
Trump unterstützt nun Saudi-Arabien und saudische aussenpolitische Ziele offenbar bedingungslos und ist bereit, sie politisch wie auch militärisch zu unterstützten. Dafür sprechen auch die grossen Waffenverkäufe. Das löst nun eine Destabilisierung aus, die sich auch negativ auf Iran auswirken kann. Das saudische Vorgehen gegen Katar ist nicht zuletzt durch diesen Blankoscheck Trumps motiviert worden.
Was jetzt fehlt, ist die ordnende Hand der traditionellen Ordnungsmacht, der USA.
Sehen Sie die Gefahr einer noch grösseren Eskalation in der Region?
Absolut. Wenn der Anschlag von heute in irgendeiner Form mit Saudi-Arabien in Verbindung gebracht werden könnte, wird es zu einer scharfen diplomatischen Krise zwischen Iran und Saudi-Arabien kommen. Die beiden Staaten unterhalten ja bereits keine diplomatischen Beziehungen mehr. Da kann ich mir durchaus auch vorstellen, dass man zu militärischen Drohgebärden oder ähnlichem greift. Das birgt alles die Gefahr eines grösseren Konflikts. Was jetzt fehlt, ist die ordnende Hand der traditionellen Ordnungsmacht, der Vereinigten Staaten. Nur funktionieren die USA nicht mehr so, wie sie 50 Jahre lang im Nahen Osten funktioniert haben. Denn diese Hand hängt nun am Körper von Donald Trump.
Das Gespräch führte Isabelle Jacobi.