Zurzeit stehen Männer mit ethisch fragwürdigen Biografien an der Spitze verschiedener Staaten: der unberechenbare Trump in den USA, Provokateur Salvini in Italien. Und nun Boris Johnson in Grossbritannien. Was haben diese Männer gemein? Antworten von der Politologin Regula Stämpfli.
SRF News: Was vereint Trump, Johnson, Salvini und Co.?
Regula Stämpfli: Sie sind alle hochgekommen in den globalen, finanzpolitischen Unruhen seit 2008. Seit 200 Jahren wissen wir, dass derartige Erschütterungen dazu führen, dass linke und rechte Populisten die Demokratien nach und nach übernehmen. Auch die digitale Revolution hat ihren Anteil. Die Populisten, die Regierungschefs können direkt mit dem «Volk» kommunizieren. So können sie den demokratischen Diskurs aufheben.
Dies gilt übrigens auch für die populistischen Frauen. Sie stellen meist eine Kombination von überkandidelter Weiblichkeit gepaart mit rechtsextremen Positionen dar. In einer körperlosen, via Netz verbundenen Welt wollen sich die Körper wieder verstärkt Ausdruck geben. Die Menschen glauben, dies in Führer- und Vaterfiguren wiederzufinden.
Je mehr provoziert wird, umso eher sind Demokratinnen und Demokraten dazu verführt, zu reagieren. Was völlig blöd ist. Ich plädiere dafür: Ignorieren Sie die meisten Tweets der Populisten!
Warum wählen Frauen solche Politiker? Viele wollen ja zuhause einen verständnisvollen Mann, der auf Augenhöhe kommuniziert – und keinen Sexisten.
Frauen sind im kulturellen, sozialen und finanzpolitischen System immer noch das schwächere Geschlecht. Anpassungsfähigkeit wird sehr gross geschrieben. Als einzelne Revolutionärinnen wie Greta Thunberg können Frauen viel bewirken. Wenn es um die klassische politische Teilnahme geht, sind Frauen aber leider das anpassungsfähigste Geschlecht.
Wie wichtig ist das Mittel der gezielten Provokation?
Die neuen Medien bieten eine grosse Chance zur Skandalisierung und Provokation. Es gibt eine direkte Verbindung und Identität zwischen Regierenden und dem «Volk». Je mehr provoziert wird, umso eher sind Demokratinnen und Demokraten dazu verführt, zu reagieren. Was völlig blöd ist. Ich plädiere dafür: Ignorieren Sie die meisten Tweets der Populisten! Konzentrieren wir uns auf die staatspolitischen und demokratischen Massnahmen, um diese Online-Dekretschreier in ihre rechtsstaatlichen Schranken zu weisen.
Welche Folgen hat es für die Demokratien, wenn sie derart regiert werden?
Die grösste Gefahr besteht darin, wenn diese Politiker anti-demokratische Massnahmen vorantreiben; etwa die Gleichschaltung der demokratischen Öffentlichkeit, des Medien-, des Justiz- und des Wissenschaftsapparates – ohne, dass sie verfassungsrechtlich oder international dafür belangt werden. Beim Kampf gegen Erdogans Autokratie etwa sieht man, dass letztlich nur Demokratie hilft. Die Wahlen in Istanbul lassen hoffen. Auch in Bezug auf Ungarn und Polen hat sich gezeigt, dass Druck – etwa die Drohung der EU, finanzielle Beihilfen zu streichen – sehr wohl wirkt. Die verfassungsrechtliche und institutionelle Realität muss greifen. Diesbezüglich habe ich nicht mehr solche Angst wie auch schon.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.