Die Welt stand Kopf an jenem 24. Juni 2016, an jenem Freitag nach der Brexit-Abstimmung: Er sei sich bewusst, wie ernst oder gar dramatisch das sei, sagte ein emotionaler EU-Ratspräsident Donald Tusk.
So dramatisch die Brexit-Abstimmung war, so klar reagierte die EU bereits damals. «Es ist ein historischer Moment, aber ganz sicher nicht der Moment für hysterische Reaktionen», sagte Tusk weiter und versicherte, dass man auch auf dieses negative Szenario vorbereitet gewesen sei.
Die Ansage von Tusk
Was damals mehr wie eine Beruhigungspille tönte, sollte sich bewahrheiten. Die EU war auf den Brexit vorbereitet. Das gleiche gilt auch für eine weitere Botschaft Tusks: «Die Führer der 27 EU-Staaten sind absolut entschlossen, eng zusammenzubleiben.»
Das war wohl auch die grösste Leistung der EU27 nach dem Brexit. Die Mitgliedstaaten agierten vom ersten Moment an geschlossen. Dies führte wesentlich auch dazu, dass sie den späteren Verhandlungen den Stempel aufdrückten.
Das grosse Versprechen von May
Anders das Vereinigte Königreich: Erst neun Monate nach der Brexit-Abstimmung, am 29. März 2017, aktivierte die britische Premierministerin Theresa May Art. 50 der EU-Verträge und leitete damit die Verhandlungen ein.
May hielt eine fast schon philosophische Rede, sprach von einem «grossen Wendepunkt» für das Land und zeigte sich optimistisch, dass die besten Tage erst kommen werden. Doch beging May damals einen entscheidenden Fehler: Sie versprach, dass das Königreich den EU-Binnenmarkt und die Zollunion verlassen werde, weil es nur so die Souveränität und die Kontrolle zurückerlangen könne. May zog damit eine rote Linie, die sie später bei der Nordirland-Frage nicht einhalten konnte.
Zudem gab die britische Regierung auch schon früh den besten Trumpf aus der Hand: das Geld. Die Frage, wie viele Milliarden London noch nach Brüssel überweisen muss, wurde schon früh geklärt.
Mays Rückzieher
So dominierte Brüssel die Verhandlungen, bis Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Dezember 2017 dann den entscheidenden Satz aussprach: Bei den Verhandlungen seien in den zentralen Scheidungsfragen genügend Fortschritte erzielt worden. Von nun an könne auch über das künftige Verhältnis verhandelt werden.
Für May war diese Zusage ganz wichtig, aber sie hatte sie teuer erkauft. Unter Druck versprach sie, dass die Grenze zwischen Irland und Nordirland in jedem Fall so offen bleiben werde wie heute: «Wir werden in Nordirland garantieren, dass es keine harte Grenze gibt und das Belfast-Abkommen eingehalten wird.»
Die Wahrheit über die Souveränität
Nun lag das Grundproblem offen auf dem Tisch: Offene Grenzen und die versprochene Souveränität Grossbritanniens passen nicht zusammen. Diese Wahrheit müsse ausgesprochen werden, hielt kurz darauf EU-Chefverhandler Michel Barnier unmissverständlich fest.
Nach hitzigen Verhandlungen diesen Sommer und Herbst liegt das Austrittsabkommen auf dem Tisch. Es enthält auch eine Lösung, wie die Grenze zwischen Irland und Nordirland so offen bleiben kann wie heute. Aber der Preis ist die Aufgabe der versprochenen vollen Souveränität. Die Frage, wie offene Grenzen und Souveränität unter einen Hut gebracht werden können, bleibt unbeantwortet.
Das ist auch der Grund für die massive Kritik in Grossbritannien am ausgehandelten Abkommen. Insofern hatte Tusk Recht, als er an jenem 24. Juni 2016 sagte: «Es ist unmöglich, alle politischen Konsequenzen der Brexit-Abstimmung vorherzusagen, speziell für das Vereinigte Königreich.»