Die Bilanz nach den jüngsten Nato-Treffen klang jeweils ein bisschen nach Pfeifen im Walde. Man gab sich zur Lage der Ukraine überaus zuversichtlich, hatte dafür aber eigentlich wenig Anlass. Immerhin räumt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg inzwischen ein: «Wir dürfen Russland nicht unterschätzen.»
Er sagt damit auch: Anders als viele nach den gravierenden Fehlschlägen zu Beginn des Krieges dachten, sind manche Teile der russischen Streitkräfte durchaus auf der Höhe der Zeit. Viel lieber jedoch betont Stoltenberg, wie sehr die Allianzstaaten die angegriffene Ukraine unterstützen. Die Rede ist da von Abwehrraketen, von Panzern oder Munition.
Investition in den elektronischen Rüstungsbereich zahlt sich aus
Auffallend ist aber ebenso, wovon keine Rede ist: nämlich von der Hilfe bei der elektronischen Kriegsführung. Dabei würde Kiew genau diese derzeit besonders dringlich benötigen.
Denn «je mehr auf dem Schlachtfeld ein Stellungskrieg stattfindet, umso wichtiger und wirksamer wird die elektronische Kriegsführung. Und umso stärker wirkt sich die krasse russische Überlegenheit auf diesem Feld aus», sagt Dominika Kunertova vom ETH-Zentrum für Sicherheitspolitik. «Moskau investiert seit Jahrzehnten stark in diese Form der Kriegsführung – und das zahlt sich nun aus.»
Für die Ukraine bedeutet das: Sie ist zunehmend ausserstande, sich zu wehren gegen die enorme Zahl der Drohnen, die Russland einsetzt – iranische und eigene.
Die ukrainische Armee verschleudert zunehmend teure Munition wie Himars-Raketen oder Excalibur-Geschosse, von denen sie ohnehin viel zu wenig hat. Viele finden dank der erfolgreichen elektronischen Störung durch Russland ihre Ziele nicht mehr. Besonders erfolgreich ist das Shipovnik-System der russischen Streitkräfte.
Die ukrainischen Systeme zur elektronischen Kriegsführung hingegen sind betagt. «Sie stammen mehrheitlich noch aus Sowjetzeiten», sagt ETH-Sicherheitsexpertin Kunertova. Verzweifelt versuche man aufzuholen. Das neue Pokrova-System hilft zumindest gegen die billigen und relativ primitiven Drohnen aus iranischer Fertigung, jedoch kaum gegen neuere, raffiniertere russische.
Der Westen denkt langfristig – und hilft daher nicht
Was die Ukraine bräuchte, wäre moderne westliche, vor allem US-Technologie. Doch genau die erhält sie nicht. Der Grund, so Dominika Kunertova: «Der Westen will in diesem hochsensiblen und geheimen Rüstungsbereich seine Karten nicht auf den Tisch legen. Zumal Washington davon ausgeht, dass das nicht nur für Russland überaus interessant wäre, sondern alle Erkenntnisse von Moskau sogleich nach Peking weiterfliessen würden. Man denkt also bereits an die Zeit nach dem Ukraine-Krieg.»
Und deshalb hilft man Kiew erheblich weniger als man könnte – und müsste, damit von den Russen besetztes ukrainisches Territorium befreit werden könnte. Dazu kommt eine grosse Unsicherheit: Die Nato weiss vermutlich gar nicht, ob die eigene elektronische Kriegsführung der russischen tatsächlich überlegen wäre.