Nach acht Jahren Funkstille sprechen die Türkei und Ägypten wieder miteinander. Die beiden Staaten sind seit dem Militärputsch in Ägypten zerstritten. Diese Woche haben sich Delegierte beider Länder erstmals in der türkischen Hauptstadt Ankara getroffen. Türkei-Experte Thomas Seibert erklärt die Hintergründe der Annäherung.
SRF News: Kann man von diplomatischem Tauwetter zwischen Ägypten und der Türkei sprechen?
Thomas Seibert: Ja, beide Seiten sind an einer Wiederannäherung interessiert und deswegen hat der türkische Vizeaussenminister Sedat Önal seinen ägyptischen Amtskollegen Hamid Losa und eine Delegation aus Kairo empfangen.
Es war die Türkei, die eine Annäherung forciert hat. Was erhofft sich die Türkei von dieser Annäherung?
Es geht zum einen um wirtschaftliche Interessen, um den Gasstreit im östlichen Mittelmeer. Da möchte die Türkei ein Stück vom Kuchen haben, von diesen riesigen Gasvorkommen. Und Ägypten ist ein wichtiger Akteur. Zum andern will die Türkei aus ihrer diplomatischen Isolation herauskommen. In den vergangenen Jahren hat die Türkei praktisch alle Partner in der Region verloren. Jetzt versucht sie, wieder anzuknüpfen und wieder mehr Verbündete zu finden.
Es geht auch darum, dass wegen des Abzugs der USA – Stichwort Afghanistan und Irak – die Länder in der Region versuchen, ohne die Amerikaner ihre Beziehungen neu zu ordnen.
Warum ist Ägypten für die Türkei so wichtig?
Ägypten ist traditionell eine Führungsmacht im Nahen Osten und in der arabischen Welt. Mit Ägypten kann die Türkei auch einige ganz konkrete Probleme anpacken. Zum Beispiel sind beide Länder im Konflikt in Libyen engagiert, wenn auch auf verschiedenen Seiten. Möglicherweise kann man über Gespräche einen Weg finden, um diese Interessen anzugleichen.
Wenn man sich das Gesamtbild in der Region anschaut, geht es aber auch darum, dass wegen des Abzugs der USA – Stichwort Afghanistan und Irak – die Länder in der Region versuchen, ohne den Schutzschild der Amerikaner ihre Feindschaften und ihre Beziehungen neu zu ordnen. Deswegen suchen alle Länder im Nahen Osten derzeit neue Verbündete, auch die Türkei.
Neue Beziehungen und Verbündete sucht der türkische Präsident Erdogan ja nicht nur in Ägypten. Er sucht auch verstärkt die Nähe zur Arabischen Liga. Wie gut funktioniert das?
Bisher funktioniert das ganz gut. Die Türkei versucht auch wieder den Anfang in den Beziehungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Da hat es in letzter Zeit hochrangige Kontakte gegeben. Auch eine Wiederannäherung an Saudi-Arabien und an Israel ist im Gespräch.
Erdogan nennt Ägyptens Staatschef al-Sisi immer noch einen Diktator und einen Putschisten.
Wie weit kann Präsident Erdogan diese Strategie der diplomatischen Charmeoffensive im Nahen Osten treiben?
Das ist die entscheidende Frage. Erdogan will sich zum Beispiel auf keinen Fall persönlich mit dem ägyptischen Staatschef al-Sisi treffen. Er nennt al-Sisi immer noch einen Diktator und einen Putschisten, weil er vor acht Jahren den ägyptischen Präsidenten Mursi gestürzt hat. Dieser war ein Schützling von Erdogan.
Insofern sieht man daran, dass diese türkische Charmeoffensive nicht besonders weit gehen kann, auch weil die Türkei nach wie vor bei ihrer Partnerschaft mit der Muslimbruderschaft bleibt. Diese Organisation wird von Ägypten als Terrorgruppe verfolgt. Erdogan versucht also gewissermassen auf zwei Hochzeiten zu tanzen. Wie weit das geht, muss man abwarten.
Das Gespräch führte Nina Gygax.