In den USA und in Europa werden im Rahmen der Demonstrationen gegen Polizeigewalt historische Statuen zum Ziel der Proteste. Die koloniale Vergangenheit dürfe nicht mehr öffentlich gefeiert werden, fordern Aktivisten und Aktivistinnen.
Die Zerstörung oder Entfernung von Statuen sei jedoch nicht unbedingt der richtige Weg, um mit dem ungeliebten historischen Erbe umzugehen, sagt die Historikern Gesine Krüger. Viel besser sei eine vertiefte Auseinandersetzung im Einzelfall.
SRF News: Kann das Beseitigen von Statuen dabei helfen, Rassismus zu bekämpfen?
Gesine Krüger: Mit solchen symbolischen Akten wird das Problem natürlich nicht direkt bekämpft. Aber das Problem wird dadurch deutlich. Deshalb sind solche Akte so kraftvoll. Bei den Statuen geht es nie bloss um eine einzige Geschichte – mit ihnen sind sehr viele historische Schichten verbunden. Auch, wenn derzeit der Rassismus natürlich im Vordergrund steht.
In London soll eine Kommission prüfen, welche Statuen entfernt werden sollen. Wie sinnvoll ist es, dass die Behörden bei diesem Thema proaktiv vorgehen?
Als der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan ankündigte, die Statuen und Strassennamen zu überprüfen, die mit Sklaverei und Rassismus zu tun haben und diese zu «entfernen», wurde er kritisiert. Die Kritiker fragten, wo dieser Prozess aufhören soll – ob denn auch Statuen von Churchill entfernt würden. Der Bürgermeister antwortete, dass alle Statuen überprüft würden – auch jene von Winston Churchill und Mahatma Gandhi.
Es gibt andere Wege, sich mit Statuen auseinanderzusetzen.
Ich sehe dieses Vorgehen kritisch: Denn dazu müssen paritätische Kommissionen eingesetzt und Regularien definiert werden. Das aber führt zu einer Geschichtsbetrachtung, die wir Historiker ablehnen, denn es geht bei Geschichte nicht um gut oder schlecht.
Allerdings befand sich Kahn in einer Zwickmühle, denn er konnte nicht einfach sagen, das Thema Statuen interessiere ihn nicht. Vielleicht gibt es aber andere Wege, um sich mit der Bedeutung von Statuen auseinanderzusetzen. Etwa, indem man Bürgerinitiativen unterstützt.
Das hat bei der Statue des Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol, England, nicht funktioniert: Das Problem musste jetzt quasi gewaltsam gelöst werden. Haben die Behörden das Problem zu wenig ernst genommen?
Seit den 1990er Jahren wurden in Bristol von Bürgerinitiativen Petitionen eingereicht, die den Abbau der Statue verlangten; es wurde darüber diskutiert. Aber wenn die Behörden dann einfach auf stur schalten, ist das sicher nicht die richtige Politik.
Wenn die Behörden einfach auf stur schalten, ist das sicher nicht die richtige Politik.
Es geht vielmehr darum, zu überlegen, was mit diesem historischen Erbe zu geschehen hat – in den Nachbarschaften, in den Regionen, aber vielleicht auch, was das ganze Land betrifft. Es ist eine historische Auseinandersetzung mit dem Thema nötig.
Sie plädieren für einen etwas entkrampfteren Umgang mit den historischen Statuen.
Ich glaube, dass die Entfernung von Statuen nur eine von vielen möglichen Lösungen ist. Momentan entlädt sich eine Wut gegen die Statuen, die die Sklaverei und den Rassismus symbolisieren. Doch man sollte jetzt erst einmal abwarten.
Es kann kaum definiert werden, wo das enden soll.
Denn es kann wie gesagt kaum definiert werden, wo das enden soll. Diese Problematik zeigt auch, wie vernetzt die Welt schon während der Zeit der Sklaverei, des Kolonialismus und vor allem während des damaligen Britischen Weltreichs gewesen ist. Daran war natürlich indirekt auch die Schweiz beteiligt. Das Entscheidende bei der Frage, wo das alles aufhören soll, ist, überhaupt anzufangen mit der Auseinandersetzung.
Das Gespräch führte Marc Allemann.