«Ausgerechnet ein Italiener soll auf den Euro aufpassen», schrieb die deutsche Boulevard-Zeitung «Bild», als Mario Draghi vor acht Jahren seinen Posten als Präsident der Europäischen Zentralbank EZB antrat.
«Bild» ist ein verlässliches Mass, das ewige Misstrauen nordischer Euro-Länder gegenüber dem Südländer Draghi an der Spitze der EZB abzulesen. Dieses Misstrauen prägt die ganze Amtszeit von Mario Draghi.
Tiefe Zinsen gar nicht wegen Draghi?
Es basiere aber auf einem grundlegenden Missverständnis, sagt Stefano Micossi, Ökonomie-Professor am College d' Europe in Brügge. «In Deutschland, der Niederlande und auch der Schweiz hält sich ein politisch motiviertes Vorurteil, die EZB sei für die tiefen Zinsen im Euro-Raum verantwortlich», so der Direktor des italienischen Think-Tanks Assonime.
Doch das sei Unsinn. Für viele Experten sei vielmehr die zu hohe Sparquote in der Eurozone für die tiefen Zinsen verantwortlich, so Micossi.
Deutsche tun sich schwer mit Draghi
Draghi bleibt der Sündenbock, vor allem in den Augen deutscher Ökonomen – auch innerhalb der EZB. Vom ersten bis zum letzten Amtstag überwerfen sie sich mit Draghi. Jüngstes Beispiel ist Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB.
Per Ende Monat tritt sie aus Protest über die erneute Senkung des Leitzinses und die Wiederaufnahme des Programms zum Kauf von Staatsanleihen im Euroraum zurück.
Die Politik ist dringend gefordert
Professor Micossi kann alle Kritik nachvollziehen. Er interpretiert den Entscheid zur weiteren Zinssenkung aber anders. «Ich erkenne darin einen letzten Versuch von Mario Draghi, die Regierungen der Mitgliedsländer der EU in die Pflicht zu nehmen», sagt er. Sie könnten den dringlichen Reformen im europäischen Binnenmarkt jetzt nicht mehr länger aus dem Weg gehen.
Tatsächlich fordert Draghi schon lange mehr und rasche Fortschritte bei der Banken-Regulierung, eine koordinierte Wirtschaftspolitik der EU-Staaten, mehr Investitionen im Norden, Abbau von Schulden im Süden. Doch die Politik hört ihn nicht.
Reformbereitschaft nur während der Krise
Das Zusammenspiel von Notenbank und Politik funktioniert nur am Beginn von Draghis Amtszeit bei der EZB – solange die Schuldenkrise die EU-Staats- und Regierungschefs jagt. Unter dem Druck der Krise beschliessen sie Reformen. Sie legen neue Budget-Regeln fest, schaffen eine europaweite Bankenaufsicht.
Aber Vertrauen schöpft die Finanzwelt erst, als Mario Draghi das Wort ergreift: «Die EZB wird alles machen, um den Euro zu retten», sagte er. Dies wurde die Geburtsstunde von «Super-Mario».
Alle erinnern sich wieder an die Schlagzeile in der «Bild»: «So Deutsch ist der neue EZB-Chef». Dem Bildporträt von Draghi ist eine Pickelhhaube auf den Kopf montiert.
Handlungsfähige EZB dank Draghi
Draghi habe die EZB aus ihrer Passivität herausgeführt, sagt Professor Micossi. Heute sei sie eine Zentralbank, die aktiv im Markt interveniert, um ihre Ziele – etwa zwei Prozent Inflation – durchzusetzen.
Unter Draghi ist die EZB einflussreicher und damit mächtiger geworden – so wie die US-Notenbank oder die Bank of England. Das ist unbestritten. Doch viele Kritiker stören sich genau daran.
Doch für andere ist die Handlungsfähigkeit der EZB ein Zeichen der Reife der Notenbank, 20 Jahre nach ihrer Gründung. Es ist dies unbestritten ein Vermächtnis von Mario Draghi.