In der Ex-Sowjetrepublik Kirgistan hat die Opposition aus Unmut über die kürzlichen Parlamentswahlen mehrere öffentliche Gebäude besetzt. Von Hunderten Verletzten und einem Toten ist die Rede. Die Vorwürfe der Wahlmanipulation seien glaubwürdig, sagt Russland-Korrespondent David Nauer.
SRF News: Wie ist die aktuelle Lage?
David Nauer: Es ist zumindest ein Umsturzversuch. Die Opposition hat eine Art Gegenregierung ausgerufen und einen Kommandanten für die Hauptstadt Bischkek ernannt. Zudem ist man offenbar daran, eine Art Volkspolizei zu bilden, welche die Stadt kontrollieren soll. Der amtierende Präsident Sooronbai Tscheenbekow hat sich gemeldet und erklärt, es sei ein Staatsstreich im Gang und er werde wieder für Recht und Ordnung sorgen. Es ist noch ziemlich unklar, was genau läuft in Bischkek und wer im Moment die Macht hat.
Was ist der Auslöser für diese Ereignisse?
Das ist ganz eindeutig die Parlamentswahl vom Sonntag, bei der es angeblich zu Stimmenkauf und Manipulationen gekommen ist. Laut offiziellen Angaben haben Parteien, die dem amtierenden Präsidenten nahestehen, die Wahl mit grossem Abstand gewonnen.
Ist der Vorwurf der Wahlfälschung berechtigt?
Wahrscheinlich schon. Es gibt zahlreiche Hinweise dafür. Videos und Bilder von Leuten, die zeigen, wie sie ihren Wahlzettel fotografieren. Das ist ein klarer Hinweis auf Stimmenkauf: Die Leute gehen ins Wahllokal wählen, fotografieren ihren Wahlzettel, um dann einem Auftraggeber das Foto als Beweis zu zeigen, dass sie den Richtigen gewählt haben. Auch die OSZE spricht von glaubwürdigen Vorwürfen. Man kann also davon ausgehen, dass manipuliert wurde.
Kirgistan galt in den letzten Jahrzehnten eigentlich als «Insel der Demokratie». Es ist das einzige Land in Zentralasien, das halbwegs demokratisch ist. Aber Probleme solcher Art gab es in der Vergangenheit bei Wahlen eigentlich immer.
Warum lehnen sich die Kirgisen gerade jetzt dagegen auf?
Das geschieht eigentlich sehr regelmässig. Es gibt in Kirgistan eine Tradition des Aufstandes gegen den Staat und des Protests. 2005 und 2010 gab es bereits Revolutionen. Da wurde die Regierung quasi gestürzt. Das ist ein grosser Unterschied zu anderen Völkern der ehemaligen Sowjetunion.
Welche Rolle spielt der Streit zwischen dem ehemaligen Präsidenten Almasbek Atambajew und dem aktuellen Präsidenten Tscheenbekow.
Das spielt eine grosse Rolle: Atambajew und Tscheenbekow waren einst Verbündete. Erster half sogar bei der Nachfolge. Doch dann haben sich die beiden zerstritten und der aktuelle Präsident liess dann seinen Vorgänger festnehmen. Das war ziemlich dramatisch. Als die Polizei Atambajew verhaftete, wurde er von seinen Anhängern zwei Tage lang mit Waffengewalt gegen die Sicherheitskräfte verteidigt. Jetzt geht es dramatisch weiter.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.