Kopfschütteln in Washington: Da will der US-Kongress die chinesische Datenkrake Tiktok bändigen – und was machen die eigenen Söhne, Töchter und Enkel? Sie wechseln in Scharen zum nächsten chinesischen Social-Media-Giganten, nämlich Xiaohongshu, übersetzt «kleines rotes Buch».
Das soziale Netzwerk, auch bekannt als Rednote, stürmt derzeit die Download-Charts der App-Stores – auch in der Schweiz. In den letzten zwei Wochen hat Rednote über eine halbe Million «Tiktok-Flüchtlinge» aufgenommen.
In China gilt Rednote als Pendant zu Instagram: Celebrities, Mode, Reisen, «Food Porn», die neuesten Beauty-Trends und Restauranttipps – die App erfreut sich besonders unter jungen Menschen grosser Beliebtheit. User chatten, telefonieren und posten Videos und Fotos. Im Riesenreich nutzen 300 Millionen Menschen die App.
Als Exportschlager taugt Rednote derzeit nur bedingt. Die meisten Inhalte laufen nur in Mandarin über den Bildschirm, der verbreitetsten Sprache in China. Warum also stranden westliche «Tiktok-Flüchtlinge» ausgerechnet bei Rednote?
Manche von ihnen beantworten die Frage gleich selbst: So erklären die Neuankömmlinge, aus Protest gegen das drohende Tiktok-Verbot zu dessen chinesischem Rivalen gewechselt zu sein. Die Influencerin Jen Hamilton lernt sogar chinesisch, und lädt ihre vier Millionen Follower dazu ein, es ihr gleichzutun.
Leon Morson ist Host des Tiktok-Kanals von SRF News. Auch er ist neuerdings Nutzer von Rednote – zu Testzwecken. Er bestätigt: Die App bietet weitgehend identische Funktionen und Möglichkeiten wie Tiktok. Auch das Interface sei Social-Media-Veteranen bestens bekannt. Wenn da nicht die Sprachbarriere wäre.
Für SRF-Digitalredaktor Jürg Tschirren greifen derzeit die bekannten Mechanismen auf Social Media: Einzelne User treten etwas los, das wie eine Lawine durch den digitalen Raum rollt; «Und jetzt könnten wir den letzten grossen Tiktok-Trend erleben.» Zumindest, wenn die Plattform tatsächlich verboten werden sollte.
Vom Zustrom westlicher «Tiktoker» wurden die Betreiber überrascht. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, kratzt das Unternehmen unter Hochdruck Ressourcen zusammen, um englischsprachige Inhalte zu moderieren und Übersetzungstools einzubinden. Der Hype um die App soll am Anfang eines globalen Eroberungsfeldzugs stehen.
Eine Trotzreaktion der «Tiktoker»?
Die Blase könnte aber schnell wieder platzen, glaubt Tschirren: «Das Ganze könnte auch eine Art Witz, ein Meme sein, das sich weiterverbreitet.» Vielen der «Tiktok-Flüchtlinge» könnte es einfach darum gehen, der US-Politik den virtuellen Stinkefinger zu zeigen. Nach dem Motto: Wenn ihr uns Tiktok verbietet, wechseln wir eben zu einer anderen chinesischen App.
Tschirrens Fazit: «Ich glaube, dass es sich um ein Strohfeuer handelt.» Eine App sei schnell heruntergeladen und es sei sicher lustig, sich durch die chinesische App mit ihren fremdartigen Inhalten zu klicken. «Dass sich Rednote aber wirklich zur Tiktok-Alternative etabliert, wage ich zu bezweifeln.»