Tigran Keosajan ist ein regimefreundlicher russischer Journalist – und der Ehemann der Chefredaktorin des Fernsehsenders RT, eine der radikalsten Propagandistinnen des Kremls. Deshalb schlug es hohe Wellen, als Keosajan den Kasachen im Frühling auf Youtube Undankbarkeit vorwarf und ihnen ans Herz legte, «aufmerksam in Richtung Ukraine zu schauen».
Ähnliche Drohungen waren aus Moskau in den letzten Monaten oft zu hören. Russische Hardliner sind verärgert, dass Kasachstan Moskau die enge Gefolgschaft verweigert, die sie in Sachen Ukraine erwarten. Denn Kasachstan hat angekündigt, sich an die EU-Sanktionen gegenüber Russland zu halten, es schickt humanitäre Hilfe in die Ukraine und hält Kontakt zum ukrainischen Präsidenten. Das Land hat die «Sieges-Parade» zum 9. Mai abgesagt, und es weigert sich, die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ostukraine anzuerkennen. Zudem möchte es Öl und Gas nach Europa liefern.
Droht Kasachstan ein Einmarsch Russlands?
Der Zentralasienexperte Timur Umarow sagte über einen drohenden Einmarsch Russlands in einem russischen Podcast, bis zum 24. Februar hätte er das für unmöglich gehalten. Doch seit dem Angriff auf die Ukraine glaube er nicht mehr an die Rationalität des Kremls. Er weist aber auch darauf hin, dass Kasachstan – nur schon aus geografischen Gründen – praktisch gezwungen sei, eng mit Russland verbunden zu bleiben.
Dimash Alzhanov ist kasachischer Politologe und Demokratie-Aktivist. Wenn Russland in der Ukraine Erfolg habe, dann würde das auch Kasachstan anfälliger machen für eine Aggression Russlands, sagt er im Gespräch. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die grosse russische Minderheit im Land und darauf, dass die russischen Medien im Land ungehindert ihre Propaganda verbreiteten.
Versuch eines Balanceakts
Allerdings gehe die kasachische Führung sehr vorsichtig vor und versuche einen Balanceakt: dem Westen zu gefallen und gleichzeitig Russland nicht allzu sehr vor den Kopf zu stossen. In den letzten Jahren habe sich die Führung sehr prorussisch verhalten – auch weil sie wisse, dass sie auf die Unterstützung Russlands zählen könne, wenn es darum gehe, innere Proteste zu unterdrücken. Aber gleichzeitig sei der Preis gestiegen, den man als enger Verbündeter Russlands auf der Weltbühne zahlen müsse.
Der Politologe Alzhanov kommt zum Schluss: Das Bild der leichten Distanzierung von Russland, das die kasachische Führung vermittle, führe in die Irre. Es richte sich an das westliche Publikum und an die eigene Bevölkerung. Denn letztere habe den neuen Präsidenten in Verdacht, zu prorussisch zu sein, vor allem seit den niedergeschlagenen Protesten von Anfang Jahr.
Es gebe sehr enge Verbindungen zwischen den zwei politischen Regimes in Kasachstan und Russland, institutionell wie auch personell. Diese engen Bande, die autokratische Regime unterhielten, solle man nicht unterschätzen, warnt der Demokratie-Aktivist. Ausserdem dürfe der Westen den Fehler nicht wiederholen, den es in Russland gemacht habe: Nur auf Wirtschaftsbeziehungen zu setzen, die Menschenrechte aber zu wenig im Blick zu haben. Eine vorausschauende Politik sei nötig, auch gegenüber Kasachstan.