- Die Londoner Polizei ermittelt zu mehreren Lockdown-Partys mit potenziellen Verstössen gegen die Corona-Auflagen im Amtssitz von Premierminister Boris Johnson und in anderen Regierungsgebäuden.
- Johnson steht seit Wochen wegen Berichten über mutmasslich illegale Partys in seinem Amtssitz massiv unter Druck.
- Ein Misstrauensvotum wird immer wahrscheinlicher.
Am Dienstag gab es widersprüchliche Botschaften zum internen Untersuchungsbericht der Regierung. Zunächst hiess es laut einem Regierungsmitglied im Unterhaus, der ursprünglich in dieser Woche erwartete Bericht der Spitzenbeamtin Sue Gray werde sich durch die Ermittlungen der Polizei verzögern. Johnsons Sprecher sagte vor Journalisten, es könnten nur Teile des Berichts veröffentlicht werden, die nicht Gegenstand der Polizei-Ermittlungen seien. Später berichteten jedoch mehrere Medien, der Bericht könne doch noch vollständig in dieser Woche an die Öffentlichkeit gelangen.
Laufend neue Ermittlungen
Laufend gibt es neue Enthüllungen über Feiern. Erst am Montag berichtete der Sender ITV von einer Geburtstagsparty für Johnson mit bis zu 30 Teilnehmern. Für Johnson wird die Lage immer prekärer.
Für den seit Wochen wegen Berichten über mutmasslich illegale Lockdown-Partys in der Kritik stehenden Johnson kommen die neuen Entwicklungen zu einem heiklen Zeitpunkt. Die kritischen Stimmen in seiner konservativen Partei werden immer lauter. In den vergangenen Tagen kamen Vorwürfe wegen Diskriminierung von Muslimen im Regierungsapparat und laschen Vorgehens gegen Betrug bei Corona-Hilfen hinzu.
Misstrauensvotum wahrscheinlich
Der Ausgang der Nachforschungen durch die Spitzenbeamtin Sue Gray zu den mutmasslichen Lockdown-Partys gilt als möglicherweise entscheidend für Johnsons politische Zukunft.
Mehrere Mitglieder seiner eigenen Fraktion wollen ihn stürzen. Die neuen Enthüllungen dürften Wasser auf ihre Mühlen sein. Insider halten ein Misstrauensvotum inzwischen für unausweichlich. Als Nachfolger bringen sich bereits Aussenministerin Liz Truss und Finanzminister Rishi Sunak sowie der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Jeremy Hunt, in Stellung.
Berichten zufolge wollten es viele Tory-Abgeordnete vom Ausgang der internen Untersuchung Grays abhängig machen, ob sie beim sogenannten 1922-Komitee einen Brief einreichen und damit ihrem Parteichef das Vertrauen entziehen. Sollten 54 Briefe den Komitee-Chef Graham Brady erreichen, käme es zu einem Misstrauensvotum.
Keine klaren Nachfolger in Sicht
Mit einem freiwilligen Abgang Johnsons wird kaum gerechnet. Gefährlich werden könnte ihm aber der wachsende Unmut in der eigenen Partei. Als Chef der Tory-Partei sieht er sich einer unübersichtlichen Koalition aus verschiedenen Lagern gegenüber.
Ein letzter Trumpf Johnsons könnte sein, dass es bislang keinen klaren Favoriten als Nachfolger gibt. Aussenministerin Truss gilt zwar als Liebling der Brexit-Anhänger, hat jedoch in der Bevölkerung nicht den besten Ruf. Schatzkanzler Sunak konnte während der Pandemie mit dem grosszügigen Furlough-Programm – der britischen Kurzarbeit – punkten. Als Schwiegersohn eines indischen Milliardärs gilt er aber als wenig geeignet, um die von Johnson erfolgreich umworbene Arbeiterschaft im Norden Englands zu begeistern. Hunt ist allenfalls ein Aussenseiter.