Deutschland und Grossbritannien reagieren unterschiedlich auf den Ukraine-Konflikt. Während Berlin diplomatische Töne anschlägt, geht London mit härteren Bandagen vor. Das habe mit dem seit Jahren zerrütteten Verhältnis zwischen Downing Street und Kreml zu tun und habe auch innenpolitische Gründe, sagt der SRF-Korrespondent für Grossbritannien, Patrik Wülser.
SRF News: Weshalb unterscheidet sich der britische und deutsche Umgang mit Moskau so sehr?
Patrik Wülser: Dass der russische Geheimdienst auf britischem Boden doch ziemlich spektakulär Dissidenten und ehemalige Spione vergiftet hat, wurde hier nicht besonders goutiert. Vor gut vier Jahren sorgte zudem der Anschlag auf den Ex-Agenten Skripal in England für internationale Schlagzeilen und besonders auch für Empörung und das hat das Königreich eben nicht vergessen. Zudem hat Grossbritannien eine andere Weltkriegsvergangenheit als Deutschland. Das könnten mitunter die Gründe sein.
Was nützen diese Drohgebärden? Ist das nur Rhetorik?
Ja und nein, denn den Worten folgten ja auch Taten. London flog bereits Panzerabwehrwaffen in die Ukraine und auch militärisches Personal der Briten ist vor Ort. «Zu Ausbildungszwecken», wie es aus dem Königreich offiziell heisst. Premierminister Boris Johnson hat aber ebenso klar gemacht, dass er sich im Falle einer Invasion allen Sanktionen gegenüber Russland anschliessen würde.
Wenn Johnson nun Putin öffentlich und persönlich droht, dann ist das tatsächlich viel Rhetorik.
Das ist durchaus ernst zu nehmen. Die andere Seite ist, wenn Boris Johnson nun Putin öffentlich und persönlich droht, dass eine mögliche Invasion für Russland in einem Desaster enden würde, dann ist das tatsächlich viel Rhetorik. Also Gehabe eines vergleichsweise kleinen Landes, von dem sich Moskau wohl nicht gross beeindrucken lässt.
Innenpolitisch steht Johnson mitunter wegen der Partys im Lockdown massiv unter Druck. Ist das auch ein Grund, warum er sich so exponiert?
Das ist genau so. Boris Johnson bedient mit seinem entschlossenen Auftreten gegenüber Russland durchaus auch die innenpolitische Galerie und sein Publikum. In den nächsten Tagen soll die Untersuchung zu seinen Festivitäten während des Lockdowns publiziert werden. Die Frage, wie lange sich noch im Amt halten kann, ist durchaus angebracht und so kommt Boris Johnson diese Krise nicht ungelegen.
Diese Krise ist für Johnson bei aller Ernsthaftigkeit durchaus ein willkommenes Ablenkungsmanöver
Er kann sich als entschlossener Staatsführer präsentieren, der Putin die Stirn bietet. Den kritisierenden Personen kann er zudem um die Ohren schlagen, weshalb sie sich mitten in einer solchen internationalen Krise, welche in einem Krieg eskalieren könnte, um leere Weinflaschen in seinem Garten kümmern. Diese Krise in der Ukraine ist für Boris Johnson bei aller Ernsthaftigkeit durchaus ein willkommenes Ablenkungsmanöver.
Wird ihm seinen Drohverhalten innenpolitischen Aufschwung geben?
In seiner eigenen Partei bei den konservativen Torries durchaus. Ein Teil seiner konservativen Fraktion im Parlament unterstützt sein resolutes Auftreten gegenüber Russland und hat auch Freude daran. Es passt auch zu diesem Post-Brexit-Narrativ eines globalen Königreichs mit einem neuen Auftritt weltweit.
Die Fehltritte von Johnson interessieren die Leute hier momentan viel mehr als seine aussenpolitischen Drohgebärden.
Wenn ich aber mit Britinnen und Briten auf der Strasse spreche, interessiert sich eine Mehrheit eher für die aktuelle Corona-Situation oder aber für die miserable Wirtschaftslage hier. Besonders auch die Fehltritte von Boris Johnson interessieren die Leute hier momentan viel mehr als die aussenpolitischen Drohgebärden des Premierministers.
Das Gespräch führte Zoé Geissler.