Auf dem langen Weg in die Stadt starb erst der Esel, dann ihre vierjährige Tochter, erzählt Naima Mohammend. Kurz davor hatte die Witwe beschlossen, ihr Dorf zu verlassen. Ihre Ziegen waren tot, die Felder leer. Also packte sie ihre Habseligkeiten auf den Esel und zog Richtung Stadt.
Zeit für Trauer blieb unterwegs nicht. Mohammed begrub die Tochter neben der Strasse. Dann ging sie mit sieben Kindern weiter. Zwei Tage marschierte die Familie.
Nun sitzt die Mutter in einem halbkugelförmigen Zelt, in einem Vertriebenenlager in der Stadt Baidoa. Auf dem Arm schreit ihr Baby, sie wiegt es sanft. «Ich habe keine Milch, um meine Tochter zu stillen», erklärt Mohammed, «sie wird immer dünner». Ihre Kinder verstünden nicht, wieso es nichts gebe. «Nur Allah weiss, wo die nächste Mahlzeit herkommen wird.»
Rund um Baidoa stehen zehntausende Zelte aus Ästen und Tüchern. Auf den staubigen Feldern leben bereits 600'000 Vertriebene. Täglich kommen laut UNO rund 1000 neue an. Die registrierten Geflüchteten erhalten Hilfe mit Geldtransfers aufs Handy. Doch es ist nicht genug. Ein Drittel aller Kinder ist unterernährt, in Baidoa droht eine Hungersnot.
Einst die Kornkammer Somalias
Kaum zu glauben, dass dies hier einst die Kornkammer Somalias war. «Baidoa war das Hirse-Zentrum, wir produzierten Millionen Tonnen, auch Mais», erzählt Bürgermeister Abdullahi Watiin. Der smarte Mann in Jeans und weissen Turnschuhen ist täglich unterwegs, beschützt von einer bewaffneten Patrouille.
Neben dem Klima hat Baidoa ein zweites Problem: Die Stadt ist von der Terrormiliz Al-Shabaab umringt. Trotz Dürre und Hunger treibt sie noch immer Steuern ein. Auch das führt zur Landflucht.
«Der Druck auf die Stadt ist gross», gesteht der Bürgermeister. Viele Ressourcen, wie Wasser oder Strom, sind limitiert. Die Gesundheitsversorgung ist rudimentär, die Arbeitslosigkeit hoch. In Baidoa leben bereits dreimal so viele Vertriebene wie Einwohner.
«Doch wir wollen als Stadt alle willkommen heissen», so Watiin. Dafür sucht der Bürgermeister nach Lösungen. Er schmeisst sich in Schale und empfängt internationale Organisationen und Geldgeber.
Viele werden in der Stadt bleiben
Auch die 19-jährige Nuriya Meris lebt im Zeltlager. Doch tagsüber geht sie in die Innenstadt, dort sitzt sie in einem Kleidergeschäft an der Nähmaschine. «Ich habe Schneidern gelernt und kann nun damit Geld verdienen», erklärt die junge Frau. Rund zwei Franken erhält sie pro Kleid.
Die Ausbildung und das Geld für die Nähmaschine erhielt sie durch ein Projekt. Die UNO-Migrationsagentur IOM und die Afrikanische Entwicklungsbank bilden in Baidoa junge Vertriebene aus.
Nuriya kam schon vor fünf Jahren in die Stadt, auf der Flucht vor Al-Shabaab. Zurück will die junge Frau nicht mehr: «Ich weiss nicht, wie die Lage derzeit in meinem Dorf ist. Doch unterdessen fühle ich mich wohl in der Stadt. Ich habe eine Arbeit hier.»
Die meisten Vertriebenen werden nie mehr in ihr Dorf zurückkehren. In Somalia, am Horn von Afrika, fällt kaum mehr Regen. Der Klimawandel hat ganze Landstriche unbewohnbar gemacht.
Alleine kann die Stadt die Herausforderung nicht stemmen, das weiss Bürgermeister Watiin. Mit seinen bewaffneten Männern fährt er an den Stadtrand. Hier, im Aussenquartier Barwaaqo, haben über 2000 vertriebene Familien in Blechhütten ein neues Zuhause gefunden. Finanziert von Hilfsorganisationen.
Landbesitz bietet eine Perspektive
Vater Hassan Ismail öffnet sein Wellblechhaus. Es ist ein Raum mit einem Bett, hier schlafen auch die sieben Kinder. Die Blechhütte ist keine Bleibe für immer, doch sie bietet mehr Schutz als ein Zelt. Und der entscheidende Unterschied, so Ismail: «Das Grundstück hier gehört mir.»
Der Landbesitz soll den Menschen eine Perspektive und Sicherheit bieten. Im Quartier gibt es zudem eine Schule und bald einen Markt.
Ismail lädt gegen Entgelt die Handys von Nachbarn. «Ich verkaufe auch Kabel und Handyzubehör als Strassenhändler.» So verdient er sich ein Zubrot.
Auch mit Landwirtschaft hatte es der 30-Jährige auf seinem Grundstück versucht, doch es funktionierte nicht. «Es fehlt das Wasser», gesteht Ismail. Seine Familie benötigt noch immer Lebensmittelhilfe.
Das neue Quartier ist keine Patentlösung, gibt auch Bürgermeister Watiin zu: «Die Bewohner sind weiter von Hilfe abhängig. Einige besitzen kleine Läden oder Tiere. Doch trotz Landbesitz sind es noch immer arme Familien.»
Dazu kommt, dass in den Zeltstädten um Baidoa noch 80'000 weitere Familien leben. Es ist schwer möglich, allen ein Stück Land zu geben. Doch der Bürgermeister hofft, dass das neue Quartier zumindest einigen den Schritt in die Unabhängigkeit ermöglicht.
«In Somalia war immer Notfall, seit 50 Jahren. Das müssen wir ändern.» Watiin will weg von der Nothilfe, zu mehr Eigenständigkeit. Die Menschen in den Blechhütten, am Stadtrand von Baidoa, haben einen ersten Schritt gemacht. Doch der Weg zu einem selbstbestimmten Leben bleibt lang und steinig.