Noch liegen Pflastersteine auf einem Haufen im Schulhof der Ilay’s Academy in Somalias Hauptstadt Mogadischu. Das neue Schulhaus ist noch im Bau, die Schule musste ihren Standort wechseln. «Es waren schlicht zu viele Explosionen. Darunter der grösste Bombenanschlag in der Geschichte Somalias,» erklärt Schuldirektor Abdinasir Ali Mohamed.
Am 14. Oktober 2017 stürzte das alte Schulgebäude der Ilay's Academy in sich zusammen, 15 Kinder wurden verletzt. Der Grund: Rund 100 Meter von der Schule entfernt war ein mit zwei Tonnen Sprengstoff beladener Lastwagen explodiert. 587 Menschen kamen bei diesem Anschlag ums Leben. Bis heute ist es weltweit eines der Bombenattentate mit den meisten Todesopfern. Verantwortlich gemacht dafür wird die dschihadistische Terrorgruppe Al-Shabaab.
Schule für Rückkehrer aus der Diaspora
Dass es nicht einfach sein würde, eine Schule aufzubauen in der Hafenstadt Mogadischu, das wusste Schuldirektor Abdinasir Ali Mohamed. Doch der 46-Jährige war getrieben von der Idee, schon als er noch in London lebte und nach zehn Jahren im Ausland nach Somalia zurückkehren wollte. «Viele Somalis in der Diaspora wollen zurückkommen und das Land aufbauen. Aber sie tun es nicht, weil es hierzulande keine adäquate Schulbildung gibt für ihre Kinder», erklärt Mohamed.
Somalia ist wohl das Land weltweit, in dem am allerwenigsten Kinder zur Schule gehen können. Laut Unicef sind es gerade mal 16 Prozent. Privatpersonen wie Schulgründer Abdinasir Ali Mohamed, die nach ihrer Ausbildung im Ausland zurückkommen nach Somalia, sind bedeutend für den Aufbau des Landes.
Die somalische Diaspora ist gross. Die UNO geht von rund zwei Millionen Menschen aus und das bei einer Landesbevölkerung von gerade mal 15 Millionen. Die Diaspora bringt Know-how ins Land und durch Zahlungen an die daheimgebliebenen Familienmitglieder auch ganz viel Geld. Allein im letzten Jahr flossen durch solche Heimatüberweisungen rund 2.8 Milliarden US-Dollar nach Somalia. Das entspricht rund einem Drittel des Bruttoinlandprodukts von Somalia und ist weit mehr Geld, als durch Entwicklungshilfe ins Land kommt.
Somalia gilt als gescheiterter Staat. So wird ein Staat bezeichnet, der seine grundlegenden Funktionen nicht erfüllen kann. Funktionen wie Bildung, Sicherheit oder Gesundheit. So können in Somalia nicht nur kaum Kinder zur Schule gehen. In Somalia stirbt auch jedes achte Kind vor seinem fünften Geburtstag, kaum sonst wo auf der Welt ist die Müttersterblichkeit derart hoch.
Nach Ausbruch des Bürgerkriegs vor 30 Jahren galt Somalia während Jahren als regierungslos. Heute beherrscht die dschihadistische Terrorgruppe Al-Shabaab weite Teile des Landes. Und füllt dort ebenfalls Lücken, die der somalische Staat mit seiner Abwesenheit hinterlässt.
Al-Shabaab treibt Steuern ein
Zum Beispiel Ahmed. Seinen richtigen Namen möchte der 24-Jährige nicht nennen. Während zwei Jahren war der schlaksige Mann in weissem T-Shirt und Jeans Teil des Al-Shabaab-Systems. Und übernahm dort die staatliche Funktion, die Al-Shabaab am allerbesten beherrscht: Steuern eintreiben. Anders als der somalische Staat, besteuert Al-Shabaab nämlich alles und jeden in Somalia. Auch in Gebieten, die offiziell unter Regierungskontrolle sind.
Auf dem Land beträfen die Steuern vor allem das Vieh, erklärt Ahmed: «Wer mehr als 40 Ziegen besitzt, muss eine Ziege pro Jahr an Al-Shabaab abgeben, bei mehr als sechs Kamelen, sind es zwei Ziegen pro Jahr.» Mit den Steuern finanziert sich die Miliz und damit auch den Terror.
Im Gegenzug bieten die Rebellen manchmal minimale Dienstleistungen an. Koranschulen, medizinische Versorgung. So hat Al-Shabaab letztes Jahr beispielsweise sogar eine Covid-Klinik eröffnet. Vor allem aber ermöglicht Al-Shabaab etwas, was der somalische Staat nicht schafft: nämlich Gerichtsbarkeit. Grundlage ist die Scharia. «Der Koran alleine wird ausgelegt, um jemanden zu verurteilen», erklärt Ahmed. «Wenn jemand stiehlt, wird ihm die Hand abgehackt, wenn jemand Ehe bricht, wird er getötet oder ausgepeitscht.»
Der junge Mann zuckt mit keiner Wimper, als er die harten Strafen aufzählt. Doch die Scharia-Gerichte der Shabaab bieten oft die einzige Möglichkeit überhaupt Gerechtigkeit zu erfahren in Somalia. In einem Land, in dem nicht einmal die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet ist.
Grösste Friedensmission der Welt sorgt für Sicherheit
Sergeant Resty Nalwoga hört sich am frühen Morgen den Einsatzplan von ihrem Vorgesetzten für den Tag an. Die Polizistin aus Uganda wird heute zwölf Stunden lang durch Mogadischu patrouillieren. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche markiert die Mission der Afrikanischen Union in Somalia (Amisom) so ihre Präsenz in der somalischen Hauptstadt.
Vor 14 Jahren hat die Afrikanische Union Truppen nach Somalia entsandt. Für Sergeant Resty Nalwoga ist ihr Einsatz hier äusserst bedeutend: «Ich bin Afrikanerin und Amisom dient dem Frieden in ganz Afrika. Wenn Somalia nicht stabil ist, dann ist es die ganze Region nicht.»
Bereits zum zweiten Mal ist die 34-jährige Teil der Amisom-Friedensmission. Es seien Welten zwischen heute und damals, 2014, sagt sie und zeigt aus dem gepanzerten Fahrzeug auf die Strassen Mogadischus: «Damals waren alle Häuser mit Schusslöchern übersät.»
Heute sei das Leben nach Mogadischu zurückgekehrt. Und das haben die Somalis zu einem grossen Teil der Amisom zu verdanken. Vor zehn Jahren vertrieben die internationalen Truppen die Terrorgruppe Al-Shabaab aus der Hauptstadt Mogadischu und sind bis heute ein wichtiger Pfeiler für die Sicherheit Somalias.
Wie weiter mit Amisom?
Doch mittlerweile ist unklar, wie es mit der Friedensmission weitergehen soll. Die Friedensmission wird in erster Linie durch die Europäische Union finanziert. Die EU hat bisher mehr als zwei Milliarden Euro in die Amisom gesteckt und möchte nicht mehr so viel zahlen. Die Zentralregierung Somalias wünscht sich sogar einen vollständigen Abzug der internationalen Truppen.
Da auch Nachbarländer bei Amisom Soldaten stellen, fühlt sich die somalische Regierung in ihrer Souveränität eingeschränkt. Auch sind die Truppen im Land nicht beliebt, ihnen wird vorgeworfen in Schmuggel involviert zu sein, auch kam es zu Menschenrechtsverletzungen an der somalischen Bevölkerung. Experten sind sich allerdings einig, dass die somalischen Sicherheitskräfte noch zu schwach und schlecht organisiert sind, um die Sicherheit des Landes zu garantieren.
Derweil hat Sergeant Resty Nalwoga ihre 12-Stunden Patrouille durch Mogadischu fast beendet. Sie hofft, dass sie kein drittes Mal als Peacekeeperin nach Somalia zurückkommen muss. «Ich möchte das nächste Mal einfach als Besucherin kommen. Ich wünsche mir, dass Afrikaner nach Somalia gehen werden, um dort zu studieren, Geschäfte zu machen.» Ein Leben in Sicherheit. Touristinnen, Businessleute und Studierende aus aller Welt empfangen. Eine solche Zukunft wünschen sich die Somalis auch.