Die schlimmste Dürre seit vierzig Jahren bringt im Süden von Madagaskar Zehntausende Menschen an den Rand des Hungertods. Von den rund 1.1 Millionen Menschen mit akuter Nahrungsmittelknappheit seien 14’000 in einem katastrophalen Zustand und drohten zu verhungern, warnt das Welternährungsprogramm der UNO (WFP).
Grund für die Krise sei in erster Linie der Klimawandel, so das WFP. Dem widerspricht die madagassische Aktivistin Ketakandriana Rafitoson. «Dürre ist im Süden der Insel nichts Neues. Und Hungerkrisen sind seit den 1990er Jahren ein Thema. Doch die Regierung hat bis heute keine Strategie, um den Hunger langfristig zu bekämpfen.»
Die Regierung habe schlicht versagt. Laut der Aktivistin mangle es der madagassischen Regierung an Willen, sich wirklich um die Hungerkrise zu kümmern. Lieber gebe sie sich in regelmässigen Abständen als Erlöserin: «Dann packt die Regierung ein paar Lastwagen mit Essen voll und präsentiert sich als Retterin der Nation.»
Süden ohne Staat
Der Süden von Madagaskar ist historisch ärmer als der Norden, auch hat es weniger Infrastruktur. Das Gefühl vom Staat allein gelassen zu werden sei im Süden des Landes weit verbreitet, so Ketakandriana Rafitoson. Die 39-jährige Aktivistin beschäftigt sich seit Jahren mit der Regierungsführung in Madagaskar, derzeit als Landes-Direktorin von Transparency International.
In Bezug auf die Situation im Süden weist sie auf ein anderes Scheitern des Staates hin: die «Dahalo». Das sind kriminelle Banden, die Vieh stehlen. Vieh hat eine wichtige Bedeutung in der madagassischen Gesellschaft, es ist folglich sehr schlimm, wenn eine Familie ihre Tiere verliert. «Recherchen haben aufgezeigt, dass diese Viehdiebe sowohl mit dem Militär, als auch der Polizei und sogar mit hohen Beamten zusammenarbeiten», so Rafitoson. Oft werden bei Angriffen der «Dahalo» auch Personen getötet. Diese Form von Kriminalität verschärft die Situation der Menschen im Süden.
Pandemie verstärkt Hungerkrise
Mit Corona habe sich die Sicherheitslage zusätzlich verschlechtert. Personen, die ihre Arbeit verloren, rutschten in die Kriminalität ab. Auch sonst hat die Coronapandemie die Hungerkrise in Madagaskar befeuert. Die Staatsressourcen werden nun für den Kampf gegen die Pandemie eingesetzt.
Doch auch beim Pandemiemanagement hat die madagassische Regierung in den Augen der Aktivistin versagt: «Der Präsident behauptet immer noch, sein selbst hergestelltes Medikament sei die beste Prävention für Covid-19.» Und weil die Regierung kaum Impfkampagne mache, liessen sich die Madagassen nicht impfen.
Keine Erwartungen mehr
Für die Aktivistin ist klar, die Regierung in Madagaskar lässt ihr Volk seit Jahrzehnten im Stich, lässt die Menschen sogar verhungern. Der paradoxe Effekt dabei: die Madagassinnen und Madagassen würden das mittlerweile einfach hinnehmen. «Sie fordern gar nichts mehr ein von der Regierung, stellen keine Fragen, dabei gäbe es so viel, worüber man sich empören müsste in diesem Land.»