Von einem «Brexit-Durchbruch» war in ersten Schlagzeilen die Rede, doch ein «Durchbruch» ist die Zusatzerklärung, die in der Nacht auf heute ausgehandelt worden ist, nur bei sehr eigenwilliger Auslegung. Tatsächlich können die Änderungen gegenüber dem bisherigen Deal, wenn überhaupt, nur mit dem Mikroskop identifiziert werden.
Doch Theresa May, die britische Premierministerin, will zeigen, dass sie der EU im letzten Moment Zugeständnisse abgerungen hat. Denn bereits heute soll das britische Parlament ein zweites Mal über ihr Scheidungsabkommen mit der EU abstimmen, nachdem es dieses im Januar mit überwältigender Mehrheit abgelehnt hatte.
Eine lebenslange Gefangenschaft?
Knackpunkt ist und bleibt die Grenze zwischen dem EU-Mitgliedstaat Irland und dem britischen Nordirland. Sie soll auch nach dem Brexit offenbleiben. Das Scheidungsabkommen sieht vor, dass Grossbritannien in einer Zollunion mit der EU verbunden bleibt, solange die beiden Parteien keine Alternativlösung gefunden haben. Das würde Warenkontrollen an der inneririschen Grenze erübrigen.
Diese Klausel wird «Backstop» genannt. In Grossbritannien fürchten viele, der «Backstop» sei nichts anderes als eine «lebenslange Gefangenschaft», ihr Land werde nie wieder aus der EU-Zollunion austreten können.
Die Zusatzerklärung hält nun fest, dass beide Seiten sehr rasch an einer Alternativlösung arbeiten und diese bis Ende 2020 unter Dach und Fach bringen wollen – was bereits in der Vergangenheit immer wieder betont worden war.
Scheidungsabkommen nur mit Ergänzung
Und sollte die Regierung in London der EU vorwerfen, nicht redlich an der Alternativlösung zu arbeiten, kann sie ein Schiedsgericht anrufen – welches im Scheidungsabkommen ohnehin vorgesehen ist. Das Gericht könnte dann den Weg frei machen für eine Suspendierung des «Backstop» – wobei einer der drei Richter ein EU-Vertreter wäre.
Von den ursprünglichen Forderungen Mays ist dies weit entfernt. Sie wollte eigentlich, dass das Scheidungsabkommen neu verhandelt und nicht bloss um eine Erklärung ergänzt wird. Auch wird der «Backstop» nicht wie gefordert von vornherein auf einige Jahre befristet und Grossbritannien kann sich nicht von selbst daraus zurückziehen.
Es bleibt ein Diktat aus Brüssel
Kurzum, die Zusatzerklärung von Strassburg ist alles andere als ein «Durchbruch». Doch zumindest bis heute Abend ist es der EU mehr als recht, wenn Theresa May die Erklärung als solchen schmackhaft zu machen versucht. Denn in einem Punkt ist sich die EU mit Theresa May einig: Das Scheidungsabkommen soll heute Abend bitteschön vom britischen Parlament durchgewunken werden – schliesslich hat die EU dieses Abkommen den Briten in grossen Teilen diktiert.
Ob der Nicht-Durchbruch von Strassburg zu einem Durchbruch im Parlament in London führt, ob das Scheidungsabkommen in Grossbritannien doch noch eine Mehrheit findet: Bereits heute Abend soll diese Frage geklärt sein.