Darum geht es: In China heiraten so wenige Menschen wie noch nie. Neue Regierungszahlen zeigen einen Rekordtiefstand bei Eheschliessungen. Die Regierung sorgt sich, denn mit weniger Hochzeiten droht die Geburtenrate weiter zu sinken. Eva Lamby-Schmitt, ARD-Korrespondentin in Shanghai, gibt Antworten zu Chinas Nachwuchsproblemen.
Warum Eheschliessungen zurückgehen: Besonders in Grossstädten wie Shanghai sei der Trend deutlich, sagt ARD-Korrespondentin Eva Lamby-Schmitt: «Frauen verdienen ihr eigenes Geld und setzen auf andere Prioritäten – oft auf sich selbst.»
Auch wirtschaftliche Faktoren spielen eine Rolle. «Viele junge Chinesinnen und Chinesen können sich keine Eigentumswohnung leisten», so Lamby-Schmitt. Doch genau das werde traditionell vom Mann erwartet, bevor er heiratet. Zudem sei eine Hochzeit nicht mehr zwingend nötig, um ein Kind offiziell registrieren zu lassen.
Früher hätten uneheliche Kinder schlechteren Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung gehabt, erklärt sie. Einige Regionen haben diese Regelungen gelockert.
Die fallende Geburtenrate ist ein Trend: Die sinkende Heirats- und Geburtenrate in China ist kein kurzfristiges Phänomen, sagt ARD-Korrespondentin Eva Lamby-Schmitt. Der Rekordtiefstand im letzten Jahr sei daher keine Ausnahme. Auch kulturelle Faktoren wie Aberglaube spielten nur eine geringe Rolle. «Es gab Jahre mit besonders vielen Hochzeiten, doch solche Schwankungen wiederholen sich. Der generelle Trend zu weniger Eheschliessungen bleibt bestehen», erklärt sie.
Veränderter Stellenwert der Eheschliessung in China: Der Stellenwert der Ehe unterscheidet sich stark zwischen Stadt und Land. «Auf dem Land ist Heiraten noch eine Selbstverständlichkeit», sagt die Leiterin des ARD-Büros in Shanghai. Patriarchale Rollenbilder sind dort weiterhin tief verankert. In Grossstädten wie Shanghai ist das anders. Die Ehe verliere für sie dort an Bedeutung, so Lamby-Schmitt.
Warum das die chinesische Führung beunruhigt: «Chinas Bevölkerung schrumpft seit drei Jahren – das bringt grosse demografische Probleme mit sich», sagt Eva Lamby-Schmitt. Weniger Arbeitskräfte, mehr Rentner – das gefährdet nicht nur die Altersversorgung, sondern auch das Wirtschaftswachstum. China wolle mit den USA mithalten oder sie gar überholen, so Lamby-Schmitt. Doch ohne genügend Fachkräfte wird dieses Ziel schwer erreichbar. Daher propagiert die Führung verstärkt das traditionelle Familienbild. In manchen Fällen geht sie noch weiter: «Frauen wurden bereits von Behörden einbestellt, nachdem sie feministische Inhalte in sozialen Medien geteilt hatten», berichtet Lamby-Schmitt.
Was die Regierung unternehmen will: China versucht, den Rückgang der Eheschliessungen aktiv zu bekämpfen. «Heiraten ist eigentlich eine persönliche Entscheidung, aber die Regierung will steuernd eingreifen», sagt Lamby-Schmitt. Dazu setzt der Staat auf verschiedene Anreize: «Es gibt staatlich organisierte Dating-Programme und finanzielle Unterstützung für Eltern – etwa Steuernachlässe und eine bessere Krankenversicherung», so Lamby-Schmitt. Ziel ist es, wirtschaftliche Hürden für Familiengründungen zu senken. Ob das die Einstellung junger Menschen verändert, bleibt fraglich. «Die Mentalität, besonders von jungen Frauen, ist schwer zu beeinflussen», meint Lamby-Schmitt.