Ein Jahr nach den nachweislich manipulierten Präsidentschaftswahlen in Belarus ist die Bilanz düster. Nie zuvor in seinen 27 Jahren an der Macht war Alexander Lukaschenko repressiver gegenüber seinen Kritikern, isolierter auf internationaler Ebene und abhängiger von Russland als heute. Der Tsunami an staatlicher Gewalt lässt sich zwar mit Zahlen belegen. Damit lässt sich der Schmerz der Gefolterten und die verlorene Lebenszeit der Inhaftierten und ihrer Familien jedoch nur erahnen.
Mit absurd hohen Strafen von bis zu 14 Jahren Gefängnis für ehemalige Präsidentschaftskandidaten sperrt Lukaschenko nicht nur potenziell gefährliche Gegner möglichst lange weg. Er will den Menschen auch die Hoffnung nehmen, dass sich innerhalb des kommenden Jahrzehnts etwas verändern könnte.
Unabhängigkeit getauscht für Machterhalt
Lukaschenko hat am heutigen Jahrestag der manipulierten Präsidentschaftswahlen vor rund 300 Personen aus seinem Staats- und Propagandaapparat die Lüge wiederholt, er habe die Wahl vor einem Jahr gewonnen und die Opposition habe einen Staatsstreich geplant. Doch eine Lüge wird auch durch die monatelange Wiederholung nicht zur Wahrheit.
Wenn Lukaschenko in den letzten zwölf Monaten etwas unter Beweis gestellt hat, dann, dass er bereit ist, dem eigenen Machterhalt alles unterzuordnen. Langfristig hat er damit die Chancen des Landes, sich aus der tiefverwurzelten Abhängigkeit von Russland zu lösen, aufs Spiel gesetzt. Lukaschenko hat mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass an der Urne auf demokratischem Weg über sein Schicksal entschieden wird. Stattdessen hat er sein Schicksal in die Hände Moskaus gelegt.
Russlands Rubel für Lukaschenkos Schlagstöcke
Während am Jahrestag der Präsidentschaftswahlen von einzelnen europäischen Staaten neue Sanktionen gegen Belarus verkündet werden, wäre es an der Zeit, offen anzuerkennen, dass das Problem mit Lukaschenko mit dem Kreml diskutiert werden muss. Der russische Elefant im Minsker Präsidentenpalast lässt sich nur ignorieren, wenn man sich der Realität verweigert.
Lukaschenko wäre längst bankrott und könnte seinen Sondereinheiten und den Richtern im Staatsapparat längst kein Gehalt mehr bezahlen, würde ihm der Kreml finanziell nicht unter die Arme greifen. Für Russland kurzfristig eine komfortable Situation. Nie zuvor schien Lukaschenko stärker auf Moskaus Gnaden angewiesen. Wladimir Putin hat das Oberhaupt in der Hand, ohne sich die Finger schmutzig machen zu müssen, wie es in der Ukraine nötig war mit der Unterstützung von Separatisten oder Annexionen.
Ein Risiko mit Ankündigung
Die belarussische Opposition ist nicht in der Position, von Moskau zu verlangen, die finanzielle Hilfe an Lukaschenko einzustellen. Dies würde den Dialog mit Moskau langfristig unmöglich machen und den Machttransfer in Belarus für die Opposition auf weitere Jahre verunmöglichen. Spätestens seit der erzwungenen Notlandung des Ryanair-Fluges Ende Mai sollte jeder Regierung Europas klar sein, dass es sich bei Lukaschenko um ein tickendes Sicherheitsproblem für den ganzen Kontinent handelt.
Die Strategie Lukaschenkos aussitzen zu wollen, hat zu keinem Zeitpunkt in den vergangenen 27 Jahren funktioniert. Die Chancen, dies könnte in Zukunft funktionieren, sind nicht gewachsen. Wer das Sicherheitsproblem durch Lukaschenko ernsthaft anzugehen versucht, muss mit Moskau das Gespräch suchen und sich die Konsequenzen vor Augen führen, sollte sich Belarus weiter in Richtung eines europäischen Nordkoreas entwickeln.