- Ein Jahr nach dem Sturm auf das Kapitol in Washington hat US-Präsident Joe Biden in einer Ansprache seine Landsleute zur Bewahrung der Demokratie aufgerufen.
- Weiter hat Biden seinen Vorgänger Donald Trump für den blutigen Angriff auf das Parlament verantwortlich gemacht.
- «Zum ersten Mal in unserer Geschichte hat ein Präsident nicht nur eine Wahl verloren, sondern versucht, die friedliche Machtübergabe zu verhindern», sagte Biden in der Ansprache zum Jahrestag im Kapitol. «An diesem Gedenktag müssen wir dafür sorgen, dass ein solcher Angriff nie wieder geschieht.»
- Nur Minuten nach dem Ende von Bidens Ansprache holte Trump zum Gegenschlag aus.
Trumps Namen nannte Biden in seiner 25-minütigen Rede kein einziges Mal. Der US-Demokrat sprach stattdessen wiederholt von «dem früheren Präsidenten». Doch so deutlich und ausführlich wie jetzt griff er Trump seit der Amtsübernahme am 20. Januar vergangenen Jahres noch nie an.
Sein angeschlagenes Ego ist ihm wichtiger als unsere Demokratie oder unsere Verfassung
Biden kritisierte, sein Vorgänger habe den Angriff auf das Kapitol damals im Weissen Haus am Fernseher verfolgt «und nichts getan». Trump habe «ein Netz an Lügen über die Wahl 2020» gesponnen und stelle seine Interessen über die der USA. «Sein angeschlagenes Ego ist ihm wichtiger als unsere Demokratie oder unsere Verfassung. Er kann sich nicht damit abfinden, dass er verloren hat.»
Biden nannte Trumps Betrugsbehauptungen eine «Big Lie» – eine «grosse Lüge». Über seinen Vorgänger sagte er: «Er ist nicht nur ein früherer Präsident. Er ist ein besiegter früherer Präsident.» Trump sei in einer freien und fairen Wahl unterlegen. «Ich habe diesen Kampf, der heute vor einem Jahr in dieses Kapitol gebracht wurde, nicht gesucht. Aber ich werde auch nicht vor ihm zurückschrecken», sagte Biden. «Ich werde diese Nation verteidigen. Ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand der Demokratie einen Dolch an die Kehle legt.»
An die Adresse von Wählern sagte Biden: «Der ehemalige Präsident und seine Unterstützer haben beschlossen, dass der einzige Weg, um zu gewinnen, darin besteht, Ihre Stimme zu unterdrücken und unsere Wahlen zu untergraben.» Das sei «unamerikanisch».
Vor Biden wandte sich Vizepräsidentin Kamala Harris vom Kapitol aus an die Nation – sie ist zugleich Präsidentin des Senats. Harris stellte die Erstürmung in eine Reihe grosser Schicksalstage der USA in den vergangenen Jahrzehnten: dem japanischen Angriff auf die US-Pazifikflotte am 7. Dezember 1941, der zum Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg führte, und den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Solche Daten hätten «nicht nur einen Platz in unseren Kalendern, sondern auch in unserem kollektiven Gedächtnis».
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Bild 1 von 16. Am 6. Januar 2021 war der US-Kongress in Washington zusammengekommen, um Joe Bidens Sieg bei der Präsidentenwahl offiziell zu bestätigen. Eigentlich eine Formalie, doch der Tag sollte als einer der schwärzesten in die jüngere amerikanischen Geschichte eingehen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 16. Wahlverlierer Donald Trump sah die Zusammenkunft als letzte Chance, sich gegen seine Niederlage aufzulehnen. Seine über Monate orchestrierte Kampagne, die Wahl als Betrug darzustellen, fand hier ihren vorläufigen Höhepunkt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 16. Trump hatte seine Anhänger dazu aufgerufen, an dem Tag in die US-Hauptstadt zu kommen. Bei einer Rede beim Weissen Haus stachelte er seine Anhänger dazu an, zum Kapitol zu marschieren und gegen seine Abwahl zu protestieren. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 16. Tausende Anhänger kamen der Forderung des Präsidenten nach. Sie strömten zum Kapitol, wo es zu zahlreichen Ausschreitungen mit Sicherheitskräften kam. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 16. Viele Teilnehmer erschienen in Kampfmontur. Auch rechtsextreme Gruppierungen wie die «Proud Boys» nahmen an der Attacke teil. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 16. Zahlreiche Trump-Supporter konnten ins Kapitol eindringen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 16. Die Anhänger erreichten beim Sturm auch die zentrale Rotunde. Die Rotunde ist der runde Bauteil des Kapitols in Washington, der sich unterhalb der Kuppel befindet und ist der grösste Bauteil des Gebäudes. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 16. Der «QAnon-Schamane» Jacob Chansley wurde zu einer der bekanntesten Figuren des Kapitol-Angriffs. Chansley wurde mittlerweile zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Bildquelle: Reuters.
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Bild 9 von 16. Ausserhalb des Kapitols wurden verschiedene Medienvertreter vom wütenden Mob angegriffen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 10 von 16. Dieser Mann drang bis ins Büro von Sprecherin Nancy Pelosi vor. Bildquelle: Keystone.
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Bild 11 von 16. Bange Stunden: Im Sitzungssaal mussten Abgeordnete und deren Mitarbeiter in Deckung gehen. Später wurden sie von Sicherheitskräften aus dem Saal gebracht. Bildquelle: Keystone.
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Bild 12 von 16. Polizeibeamte blockierten den Eingang zum Sitzungssaal. Eine Trump-Anhängerin starb, nachdem sie von einem Beamten der Capitol Police angeschossen wurde. Bildquelle: Keystone.
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Bild 13 von 16. Nach etwas mehr als drei Stunden konnten Sicherheitskräfte die Lage unter Kontrolle bringen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 14 von 16. Am Abend konnte der Kongress seine Sitzung fortsetzen. Vizepräsident Mike Pence bestätigte schliesslich den Wahlsieg Joe Bidens. Bildquelle: Keystone.
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Bild 15 von 16. Die Opfer: Der Polizeibeamte Brian Sicknick erlitt bei dem Angriff zwei Schlaganfälle und starb zwei Tage später im Krankenhaus (Hier im Bild: Die Zeremonie für den 42-Jährigen im Februar). Im Nachgang der Ereignisse nahmen sich vier Polizisten, welche am 6. Januar im Einsatz waren, das Leben. Bildquelle: Keystone.
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Bild 16 von 16. Über 700 Menschen wurden bisher für ihre Teilnahme am Sturm aufs Kapitol festgenommen und angeklagt. Mehr als 70 von ihnen erhielten teils mehrjährige Haftstrafen. Bildquelle: Keystone.
Trumps «grosse Lüge» breitet sich aus
Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, würdigte die Polizisten, die sich dem Mob in den Weg stellten. «Während wir die Schrecken dieses Tages anerkennen, ehren wir den Heldenmut so vieler.» Der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, mahnte: «Die Angriffe auf unsere Demokratie dauern an.» Die von Trump gestreute «grosse Lüge» breite sich «wie eine Krankheit» aus. «Wenn wir nicht alle unseren Teil dazu beitragen, unsere Demokratie zu stärken, besteht die Gefahr, dass die politische Gewalt vom 6. Januar nicht nur eine Ausnahme, sondern, Gott bewahre, die Norm wird.»
Washington stand am Donnerstag ganz im Zeichen des Jahrestags. Im Kapitol sitzt der Kongress, das US-Parlament aus Repräsentantenhaus und Senat. Beide Parlamentskammern erinnerten mit einer Schweigeminute an den Angriff auf das Kapitol.